Reisen im Nachtzug: „Noch immer weniger Verbindungen als in 90ern“

(Interview des Monats)

Nachtzüge werden wieder beliebter. Von einem regelrechten Boom könne man aber dennoch nicht sprechen, sagt die Reise-Journalistin Veronika Wengert. Sie hat gemeinsam mit ihrem Kollegen Jörg Dauscher ein lesenswertes Buch über die schönsten Nachtzug-Strecken Europas veröffentlicht.

WRF: In eurem Buch geht um die schönsten Nachtzugverbindungen. Ist das nicht ein Widerspruch in sich, wenn man grosse Teile der Strecke verschläft?

Veronika Wengert: Nicht wirklich, denn am folgenden Vormittag gibt es ja genügend zu sehen. Die meisten Verbindungen sind so getaktet, dass man nicht allzu früh am Zielbahnhof ankommt. Beim Frühstückskaffee kann man daher noch in Ruhe die Landschaft vorbeiziehen lassen. Einige Nachtzüge, etwa nach Palermo oder Bukarest, fahren erst gegen Mittag oder am Nachmittag in den Zielbahnhof ein. Der Schlaf verkürzt die Reisezeit, die Sehenswürdigkeiten entlang der Strecke bleiben allerdings.

Lösen wir den Superlativ auf: Welches ist denn nun die schönste Nachtzugverbindung Europas?

Wunderbare Natur erlebt man auf der Strecke von Belgrad nach Bar: Da geht es über viele Viadukte, durch Tunnels und Schluchten, mit Blick auf felsige Gebirgszüge. Die Trasse zwischen Trondheim und Bodo ist ebenfalls ein Naturerlebnis. An Eleganz und Komfort kaum zu überbieten ist der Caledonian Sleeper zwischen London und Edinburgh. Sehr bequem und modern sind auch die ÖBB-Schlafwagen, die auf vielen Strecken verkehren.

Seit Jahren werden Nachtzüge wieder beliebter und zahlreiche Verbindungen wurden wieder aufgenommen. Kann man von einem eigentlichen Boom sprechen?

Das scheint zwar so, in Wahrheit aber werden Verbindungen wieder aufgenommen, die noch vor wenigen Jahren selbstverständlich waren. Leider gibt es immer noch weitaus weniger Nachtzuglinien, als es noch in den 1990er Jahren der Fall war. Dafür kommen andere, private Anbieter hinzu.

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Die Reisebuchautorin Veronika Wengert bei der Recherche in einem Nachtzug.

 

Woran fehlt es, dass es nicht längst viel mehr Linien gibt? Was müsste sich ändern?

Nachtzüge sind teuer, sowohl was das Rollmaterial angeht, als auch den Betrieb. Profitabel zu fahren ist also auch dann eine Kunst, wenn die Auslastung stimmt. Die Bahnunternehmen richten ihre Tätigkeit jedoch am Profit aus, nicht am Allgemeinwohl. Es soll zudem nationale Bahnbetreiber geben, die internationale Nachtzugverbindungen zugunsten eigener Hochgeschwindigkeitszüge aktiv behindern. Das muss aufhören.

Ist nicht auch der hohe Preis ein Stolperstein? Flüge sind ja nicht nur schneller, sondern oft auch sehr viel günstiger.

Ja, das ist leider so. Wir müssen uns aber vor Augen halten, dass Flüge massiv subventioniert werden. Einerseits dadurch, dass keine Kerosinsteuer anfällt, andererseits, dass bei Auslandsflügen die Mehrwertsteuer entfällt. Eigentlich ein Skandal – zumal angesichts der Klimaziele!

Wenn wir gerade beim Preis sind: Gibt es irgendwelche Tipps und Tricks, um möglichst günstige Tickets zu finden?

Nachtzugtickets sind kontingentiert. Daher ist es preislich von Vorteil, wenn man möglichst früh bucht, also sobald die Tickets natürlich freigegeben sind. Ansonsten sollte man die Hauptreisezeit, etwa Freitag- und Sonntagnacht oder Ferienbeginn und -ende, möglichst meiden. Man muss jedoch dazu sagen, dass das Preisniveau von Nachtzügen nur im Norden und Westen Europas so hoch ist, im Osten und Süden sieht es ganz anders aus.

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Aussicht aus dem Nachtzug entlang der Bahnstrecke Belgrad – Bar.


Man hört immer wieder, dass Nachtzüge vor allem für eingefleischte Bahnliebhaber sind. Trifft man nachts tatsächlich andere Menschen in den Zügen als tagsüber?

Darüber habe ich mit meinem Kollegen Jörg Dauscher gesprochen, mit dem ich das Buch ja gemeinsam geschrieben habe. Wir sind allerdings zu dem Schluss gekommen, dass man nachts aus den unterschiedlichsten Motiven reist – ganz genauso wie tagsüber. Klar, wenn man im Liegewagen fährt, kann schon mal jemand dabei sein, der schnarcht, was man tagsüber nicht mitbekommt.

Zum Schluss ein Blick in die Zukunft: In welche Richtung werden sich Nachtzüge in den nächsten fünf bis zehn Jahren entwickeln?

Hoffentlich steht der wahre Boom erst noch bevor! Dazu muss sich die Politik allerdings bewegen und Investitionen ermöglichen beziehungsweise Linien bei den Betreibern bestellen und subventionieren. Der Komfort wird sicher ausschlaggebend für den Erfolg sein – der muss allerdings bezahlbar bleiben. Die österreichischen ÖBB sind in vielerlei Hinsicht Vorreiter mit ihren modernen Waggons, die an Hotelzimmer erinnern. Die private tschechische RegioJet stellt beispielsweise an den kroatischen Endbahnhöfen Split und Rijeka direkte Anschlussbusse bereit, die Passagiere in die Ferienorte bringen. Durch solche Angebote wird das Nachtzugreisen noch attraktiver!

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Eisenbahnnostalgie im Bahnhof von Bar in Montenegro.

 

Lesetipp

Klimafreundlich in Europa unterwegs:
Die schönsten Nachtzugstrecken

Sich abends unter der Decke verkriechen und am nächsten Morgen in einer neuen Stadt ankommen: Nicht nur wegen der Klimakrise ist das Interesse an Schlaf- und Liegewagen wieder gestiegen. In «Nachtzugreisen» stellen Veronika Wengert und Jörg Dauscher die 20 schönsten Strecken Europas  vor, einschliesslich ausführlichen Beschreibungen und tollen Bildern.

So macht das Buch im Coffeetable-Format nicht nur jede Menge Vorfreunde, sondern gibt angehenden Nachtzugreisenden auch zahlreiche Tipps auf den Weg. Zum Beispiel was man in den Startbahnhöfen kurz vor Abfahrt noch besichtigen kann oder welcher Soundtrack besonders gut auf Schienenreisen einstimmt. Ein Buch, das nicht nur Eisenbahnfans begeistert.

Veronika Wengert, Jörg Dauscher: Nachtzugreisen, die schönsten Strecken Europas. Mai 2022. 224 Seiten. Preis: ca. 25 Euro. Kaufen bei Amazon oder Thalia.

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Oliver Zwahlen

Oliver ist ein passionierter Reiseblogger und Reisebuchautor aus der Region Basel, Schweiz. Er schrieb unter anderem die Bücher 111 Gründe, China zu lieben und Lost Places in den Schweizer Alpen. Seit über 20 Jahren nutzt Oliver jede Gelegenheit, mit dem Rucksack durch die Welt zu ziehen und darüber zu schreiben..

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4 Kommentare

  1. Dass Flüge immer noch subventioniert werden, ist wirklich ein absolutes Unding! Nachtzüge sehe ich auch als ganz große Chance und Zukunftsmodell. Wir liebäugeln seit Jahren damit, vor allem mit den Autozügen. Ich kann mir gut vorstellen, dass das Buch uns den letzten Schubs gibt…

    1. Das sehe ich auch so. Ich halte Nachtzüge sogar für einen der wenigen Bereiche, in denen Züge sowohl preislich wie auch zeitlich mit Flugzeugen konkurrieren können. Weil man während der unproduktiven Schlafenszeit unterwegs ist und eine Übernachtung im Hotel spart.

      Allerdings glaube ich, dass viele Probleme bei der Bahn selbstgemacht sind und nicht unbedingt mit der Steuerfreiheit von Flügen zu tun haben. Es gibt zum Beispiel bis heute keine vernünftige Buchungsplattform für Nachtzüge, auf der man relativ rasch herausfinden kann, an welchem Tag die Fahrt besonders günstig ist. Während ich den besten Flug in 2 Min gebucht habe, bin ich bei Nachtzügen locker eine halbe Stunde am Suchen.

      Ein weiteres Problem sind meiner Meinung nach die Abteile selber. Wer schläft heute noch gerne in einer Sechserkabine mit Fremden? Selbst in den Jugendherbergen gibt es immer weniger Massenschlafsäle. Ich denke, da müsste man vor allem Doppelstockwagen mit jeweils Zweierkabinen einsetzen. Oder teilweise sogar Einerkabinen wie in den Kapselhotels in Japan. Die neuen Wagen der ÖBB gehen da genau in die Richtung, die ich meine.

      Und dann müssten die Schlafzüge auch mit einigermassen neuem Rollmaterial betrieben werden. Die letzten Male, als ich in Schlafwagen unterwegs war, schüttelte es so stark und war so laut, dass ich nur schlecht schliefen. In Anbetracht dessen, dass Nachtzüge sowieso langsamer fahren, müsste es doch eigentlich möglich sein, dass die Züge nachts ruhiger und angenehmer sind als am Tag. Denn letztlich kann ein Nachtzug seine Vorteile nur ausspielen, wenn man drin auch wirklich einigermassen gut schlafen kann.

  2. Welch schöne Idee, die Buchempfehlung mit einem Interview zu kombinieren. Vielen Dank für die Eindrücke zu diesem spannenden Reisethema. Ich bin zugegebenermaßen oft noch von den sehr hohen Ticketpreisen abgeschreckt und nehme dann für mittlere Strecken innerhalb Europas doch lieber den Flieger. Ich hoffe sehr, dass sich an dieser Front bald etwas ändert.
    LG Julita

    1. Danke fürs Lob :)

      Ich glaube, das mit den hohen Preisen ist auch ein bisschen ein Wahrnehmungsproblem. Ich habe mir das kürzlich angeschaut für Basel – Berlin. Der Flug für die Strecke kostet ab 25 Euro, wenn man sehr früh bucht. Allerdings kommen da noch einmal 35 fürs Gepäck und 15 für die Fahrt zum Flughafen obendrauf. Macht also realistischerweise was um die 80 Euro. Der Nachtzug kostet früh gebucht auch um die 25 Euro. Dazu kommen nochmals 25 Zuschlag fürs Couchette bzw. etwa 50 für den Schlafwagen. Gepäck ist inbegriffen. Das heisst, wir sind am Ende etwa beim gleichen Preis. Allerdings spart man mit einiger Wahrscheinlichkeit zwei Hotelübernachtungen, was den Nachtzug am Ende in der Gesamtrechnung deutlich billiger macht.

      Meiner Meinung müssten die Bahnen die Buchungsprozesse verbessern, so dass man diese guten Angebote relativ leicht findet. Ausserdem sollten sie auch verstärkt mit diesen günstigen Preisen werben, denn so lange viele Leute glauben, dass eine Nachtzugfahrt total teuer ist, suchen sie gar nicht erst.

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