Seit Timo Peters vor ein paar Jahren per Anhalter über den Atlantik shipperte, ist er Deutschlands bekanntester Segelboot-Tramper. Nun hat er mit «Couchsailing» ein lesenswertes Buch über das Abenteuer auf hoher See vorgelegt. Mit Weltreiseforum spricht er über die grosse Fahrt.
WRF: Timo, wie kommt man überhaupt auf die Idee, per Anhalter über den Atlantik zu wollen?
Timo Peters: Ich war schon immer gern als Anhalter unterwegs. Zunächst natürlich wie die meisten anderen auf der Strasse. Doch eines Tages bin ich im Hafen von Gibraltar zufällig auf eine Annonce gestossen, in der jemand einen Mitsegler suchte. Da wurde mir klar: Das Wasser muss keine Grenze sein. Als Anhalter kommt man auch über den Ozean. Meine Neugierde und mein Abenteuergeist waren geweckt. Hinzu kam aber auch, dass ich mich als Norddeutscher ohnehin schon immer zum Meer hingezogen fühlte.
Die Atlantik-Überquerung dauerte mehrere Wochen. Du hast oft tagelang nichts gesehen als Wasser. Wird einem nicht irgendwann langweilig?
Seltsamerweise nicht. Ich hatte mich vor der Abfahrt mit Büchern eingedeckt und nahm sogar einen Sprachkurs mit. Ich malte mir aus, dass ich bei der Ankunft in Brasilien bereits ein paar Brocken Portugiesisch sprechen würde. Wie soll ich sagen: Ich las weder die Bücher noch beherrsche ich die Sprache. Nach dem Törn habe ich mich oft gefragt, was ich die ganze Zeit gemacht habe. Eigentlich nicht viel. Langweilig war es trotzdem nie. Das hat viele Gründe. Einer davon ist, dass an Bord alles viel länger dauert. Nehmen wir etwas Alltägliches wie Zwiebeln schneiden als Beispiel: Weil sich das Boot ständig bewegt, rollt sie bei jeder Welle vom Schneidbrett. Festhalten kann man sie nur schlecht, weil man sich ja selber irgendwo halten muss. Weitab vom nächsten Krankenhaus ist bei solchen Dingen sowieso besondere Vorsicht angesagt. Und dann gab es unterwegs ja auch viel zu sehen.
Auf hoher See? Wie muss ich mir das vorstellen?
Ja, genau. Lebhaft in Erinnerung geblieben ist mir der Sternenhimmel. Weit weg von jeglicher Zivilisation leuchtete er so hell, wie ich ihn bisher noch nie gesehen habe. Die Milchstrasse war mit blossem Auge zu erkennen. Eine schöne Abwechslung boten auch immer wieder Delfine, die sich unserem Schiff näherten und eine Weile neben uns mitschwammen.
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Trotzdem: Auf hoher See kannst du nicht einfach aussteigen, wenn du irgendwann genug hast. Im Buch schreibst du, eine deiner Mitreisenden sei konstant Seekrank gewesen. Wie gingst du mit diesem Ausgeliefertsein um?
Ja, das Mädel tat mir unheimlich leid. Man konnte sehen, wie schlecht es ihr die ganze Zeit ging. Ich hätte mir gewünscht, dass wir sie aussteigen lassen können. Bei mir war das mit der Seekrankheit zum Glück kein grosses Problem. Ich hatte nur einmal eine Krise. Und zwar als das Land zum ersten Mal hinter dem Horizont verschwand und um uns nichts als Wasser zu sehen war. Da begann ich zu grübeln, wie lange wir bei einem Notfall wohl auf Hilfe warten müssten. Diese Gedanken lösten eine diffuse Lebensangst aus. An jenem Abend fütterte ich das einzige Mal die Fische, wie man so schön sagt. Auf der weiteren Reise versuchte ich immer, solche Gedanken aktiv zu verscheuchen. Ein Boot eignet sich dafür ganz gut, denn es gibt immer was zu tun – und wenn es nur Kleinigkeiten sind wie die Taue frisch aufzuwickeln.
Du bist insgesamt mit zwei Segelschiffen von Gibraltar nach Brasilien gefahren. Wie findet man Mitfahrgelegenheiten?
Es gibt einige Webseiten, die Mitfahrgelegenheiten vermitteln. Aus meiner Erfahrung sind die Chancen aber am grössten, wenn man vor Ort sucht und in wenigen Minuten auf einem Schiff auftauchen kann. Für viele Kapitäne ist das so am angenehmsten, weil auf grossen Fahrten immer etwas Unvorhergesehenes dazwischenkommen kann. Was ich mittlerweile schon mehrmals gehört habe: Viele potentielle Mitreisende sagen in einer anfänglichen Euphorie zu und sobald das Abfahrtsdatum näher rückt, bekommen sie kalte Füsse. Es soll Kapitäne geben, die aus genau diesem Grund vor einer Zusage die Flugreservation sehen wollen.
Wieso nimmt ein Kapitän eigentlich jemanden mit?
Der wichtigste Grund sind die Wachschichten. Gerade Fahrtensegler, die sonst vorwiegend alleine unterwegs sind, nehmen auf längeren Strecken gerne jemanden mit, der zu ihren Schlafenszeiten den Ausguck übernimmt. Während der Kapitän im Bett ist, müssen sie den Horizont nach Schiffen oder verlorenen gegangenen Containern absuchen und darauf achten, dass sich das Boot nicht etwa in Fischernetzen verheddert. Ausserdem fallen auf einem Boot ständig Reparaturen an, so dass eine dritte Hand grundsätzlich ganz nützlich ist. Und so banal das auch klingen mag: Bei einer Atlantiküberquerung ist man bis zu drei Wochen auf offener See unterwegs. Da geht es auch oft einfach darum, etwas Gesellschaft zu haben.
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Segelboote mit Skipper mieten
Wenn dir eine Meeresüberquerung per Anhalter zu unsicher ist oder dir die Zeit fehlt, um auf eine passende Mitfahrgelegenheit zu warten, kannst du natürlich auch ein Segelboot mieten – einschliesslich Skipper. Zum Beispiel auf der Sharing-Plattform Samboat, dem Airbnb der Ozeane. Dort findest du über 50.000 Boote auf der ganzen Welt. Neben Segelschiffen gibt es übrigens auch Motorjachten, Katamarane und Schlauchboote.
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Wie wichtig ist beim Couchsailing ein eigener Segelschein?
Notwendig ist er definitiv nicht. Ich weiss von Leuten, die keinen hatten und trotzdem mitgenommen wurden. Man muss sich bewusst sein: Jemand, der lange Segelreisen unternimmt und ganze Ozeane überquert, kann in der Regel bereits ziemlich gut segeln. Wichtiger sind daher Sympathie und die Softskills. Wer gut kocht oder handwerklich begabt ist, hat besonders gute Karten mitgenommen zu werden. Ich selber habe übrigens vor der Reise in einem Onlinekurs den Sportbootführerschein See gemacht. Das zeigte, dass ich mich zumindest schon ein bisschen mit dem Segeln auseinandergesetzt habe
Hätte es auch andere Möglichkeiten geben? Mir fallen Geschichten von mittellosen Auswanderern, die im Maschinenraum der grossen Dampfer anheuerten.
So etwas war auch mein erster Gedanke. Ich hatte gehört, dass es auf den grossen Frachtschiffen Leute gibt, die unterwegs ständig mit einem Hammer nach Roststellen suchten. Doch als ich bei einer Reederei anrief, lachten die mich aus und sagten: Ja, das ging schon – zwischen den beiden Weltkriegen. Die heutigen Frachter haben eine Besatzung von gerade einmal fünf Personen, die alle hochspezifisch ausgebildet sind. Da kann man nicht mehr einfach anheuern. Was aber geht: Manche Containerschiffe bieten Touristen Kabinen zum Mitfahren. Das ist allerdings alles andere als billig und vermutlich auch eher langweilig, weil es kaum was zu tun gibt.
Zurück zum Praktischen: Im Buch schreibst du, das ideale Zeitfenster für eine Atlantiküberquerung sei eng bemessen sei. Wieso?
Viele haben nicht auf dem Zettel, wie stark eine Ozeanüberquerung von Wetterphänomenen bestimmt wird. Der wichtige Passatwind bläst eigentlich nur in den Wintermonaten besonders konstant und mit der richtigen Stärke. Im Sommer hingegen hat man auf der Strecke jede Menge Stürme. Klar, es gibt immer Verrückte, die genau das suchen. Aber das sind Leute, die eher keine Tramper mitnehmen würden.
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Eignen sich eigentlich auch andere Weltgegenden für Couchsailing?
Ich würde so sagen: Der Atlantik ist perfekt für Anfänger. Das hängt mit den erwähnten klimatischen Bedingungen zusammen. Aber auch damit, dass es auf der Route ein paar Nadelöhre gibt, durch die fast jeder Segler muss. Auch wer zum Beispiel von Norwegen nach Kanada will, wählt mit grosser Wahrscheinlichkeit den Weg über die kanarischen Inseln oder Madeira. Für Ozeantramper ist das ideal. Da sich die Schiffe auf einige wenige Häfen verteilen, ist die Wahrscheinlichkeit gross, eine Mitfahrgelegenheit zu finden. Couchsailing ist aber selbstverständlich auch anderswo möglich. Wo die Routen weniger stark vorgegeben sind, wie etwa im Pazifik, sind allerdings längere Wartezeiten die Regel. Und dann gibt es noch ein paar Regionen wie Südostasien oder der indische Ozean, die wegen der Piraterie eher selten befahren werden.
Deine Reise fand schon vor einigen Jahren statt, wieso kommt das Buch eigentlich erst jetzt?
Ich stellte fest, dass ein konstant hohes Interesse an meiner Reise besteht. Ich bekomme immer noch regelmässig Mails von Bloglesern mit Fragen und wenn ich mich mit Freunde treffe, kommt das Gespräch oft auf dieses Abenteuer zurück. Das Buch gibt mir die Möglichkeit, all diese Fragen zu beantworten und gleichzeitig die einzelnen Geschichten in einen grösseren Rahmen einzubetten.
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Das grosse Segelabenteuer:
Per Anhalter über den Atlantik
Jedes Abenteuer beginnt mit einer verrückten Idee: Timo will per Anhalter nach Amerika. «Couchsailing» erzählt die Geschichte, wie er mit minimaler Segelerfahrung und einem starken Willen ein Boot findet und dem grossen Ziel immer näher kommt.
Mit viel erzählerischem Können und einer Brise Humor nimmt der Abenteurer seine Rückschläge auf die Schippe, schildert das Leben der Fahrtensegler und vermittelt beiläufig noch jede Menge nautisches Wissen. Bestseller-Potential!
Timo Peters: Couchsailing. Juni 2021. 320 Seiten. Preis: ca. 12 Euro. Auch als eBook erhältlich. Kaufen bei Amazon oder Thalia.
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Danke für dieses spannende Interview. Ich könnte mir nicht vorstellen, das nachzumachen – finde es aber sehr faszinierend, dass Timo das Abenteuer gewagt hat.
Das geht mir genauso. Ein paar Monate auf einem Segelboot zu leben, das könnte ich mir schon vorstellen. Aber ich hätte vermutlich ziemlich Mühe damit, dem Ganzen derart ausgeliefert zu sein. Also dass man nicht einfach nach einer Woche sagen kann: „Okay, heute habe ich mal keine Lust auf Wind und Wellen… Ich gönn mir mal einen Netflixabend…“
Oder noch schlimmer: Ich hab heute mal keine Lust auf meine Mitsegler – ich geh auf mein Zimmer ;-)
Das mit der Lust auf Mitsegler ist vermutlich kein so grosses Problem. Denn die Wachschichten bringen ja einen versetzten Schlaf-Wach-Zyklus mit sich. Bei einer Zweier-Belegung wie bei Timos Fahrt heisst das: Wenn jeder jeweils acht Stunden schläft, hat man am Ende nur gerade acht Stunden zusammen. Und in die Zeit fallen dann ja auch so Dinge wie Kochen usw. Ich denke, da hat man trotz des kleinen Platz schon noch genug Allein-Zeit. Aber vielleicht kann Timo dazu was sagen…?
Wäre nichts für mich, weil ich die Vorstellung so wochenlang dem Meer ausgeliefert zu sein, etwas gruselig finde. Vielleicht habe ich zuviel Hollywood-Filme a la Der Sturm gesehen. ;) Aber den Trip finde ich megaspannend und ich kann mir auch gut vorstellen, dass die Zeit mit „nichts tun“ echt schnell vergeht. Ich habe 1 Jahr Australien umrundet und sehr viel Zeit im Outback verbracht. Gerade die Strecke Nullarbor Plain nach Western Australia ist vermeintlich öde, weil es immer nur geradeaus geht. Aber irgendwann sieht man die kleinsten Dinge am Wegesrand, die aufregend werden. Da kann man seine Achtsamkeit hervorragend trainieren ;). LG, Nadine
Mir kam beim Interview vor allem der Film „All is Lost“ von und mit Robert Redford in Sinn, wo er als Alleinsegler während einer Schlafphase irgendwo weitab von der normalen Route einen im Meer schwimmenden Container rammt und in der Folge ein gewaltiges Leck in der Seite hat. Wer den Streifen gesehen hat, versteht gut, wieso man als Kaptain lieber jemanden mitnimmt…
Der Gedanke mit der Achtsamkeit leuchtet mir ein. Mir fällt da als ergänzendes Beispiel die Musik ein, wo man ja auch oft Wiederholungen hat, aber dann kleine Variationen einbaut, um die Spannung zu erhalten. Musik ist ja auch ein hervorragendes Medium, um die Achtsamkeit zu trainien, finde ich.
Gruss,
Oli
Hey Oli,
von Couchsailing oder Ozeantrampern habe ich bisher noch nie gehört, obwohl die Idee echt naheliegend ist.
Für mich wäre Couchsailing nichts, viel lieber bin ich an Land unterwegs. Den Ozean betrachte ich von der Küste aus.
Ein tolles Interview mit sehr spannenden Fragen und einer interessanten Story abseits der üblichen Pfade. Danke!
Viele Grüße
Mandy