Dark Tourism: „Hilft uns bei Auseinandersetzung mit unserer Angst“

(Interview des Monats)

Düstere Orte sind Julia Schattauers Leidenschaft. Die Reisebloggerin und Buchautorin setzt sich seit Jahren mit Dark Tourism auseinander und hat nun mit „Schaurig-schönes Europa“ eine spannende Sammlung solcher Orte vorgelegt. Im Interview verrät sie, woher der Wunsch kommt, sich zu gruseln.

WRF: Julia, was macht einen Ort überhaupt schaurig?

Julia Schattauer: Ein Ort kann aus verschiedenen Gründen „schaurig“ sein. Entweder gibt es historische Fakten, die den Ort schaurig machen, zum Beispiel wenn es sich um ein altes Gefängnis handelt oder es ranken sich geheimnisvolle Sagen oder Legende um dem Ort. Manchmal reicht aber auch schon unsere Fantasie, um das Gruselfeeling zu bekommen.

In deinem Buch kommen neben menschengemachten Orte wie Burgen auch natürliche Orte vor: Wälder, Seen und so weiter. Was ist eigentlich schauriger?

Ich glaube, dass menschengemachte Orte wie Burgen oder Gefängnisse durch ihre mitunter blutige Geschichte etwas greifbarer sind in ihrer unheimlichen Aura. Bei natürlichen Orten braucht es vielleicht ein wenig mehr Vorstellungskraft. Aber wenn man zum Beispiel in der riesigen Eishöhle in Werfen oder einem einsamen dunklen Wald unterwegs ist, dann reicht schon das physische Empfinden, um einen kalten Schauer zu spüren.

Du hast dich mit ganz Europa befasst. Gibt es regionale Unterschiede? Sind manche Regionen generell schauriger als andere?

Das kommt auf das Unterthema des Schaurig-schönen an, würde ich sagen. In Ländern mit vielen Burgen wie Irland, Grossbritannien oder auch Österreich und Deutschland ist der Zugang zu solchen historisch schaurigen Orten einfacher, weil die Anzahl einfach grösser ist. Hier kann man sich als Burgenfan also richtig austoben. In Ländern, in denen bis vor nicht allzu langer Zeit Krieg herrschte, kann man diesen Spuren folgen, zum Beispiel in Bosnien-Herzegowina.

Auch interessant: Zehn Atlanten, die deinen Blick auf die Welt verändern.

Düstere Orte: Die Autorin Julia Schattauer bei einer Gruseltour auf dem Highgate Cemetery in London.
Düstere Orte: Die Autorin Julia Schattauer bei einer Gruseltour auf dem Highgate Cemetery in London.

 

Hast du selbst so etwas wie einen Lieblingsort?

Ich liebe atmosphärische Städte und so ist es vielleicht kein Wunder, dass die Höhlenstadt Matera und auch Venedig – allerdings nur in der kalten Jahreszeit, dann ist es schön düster und bedeutend leerer – zu meinen Lieblingsstädten zählen. Ein zweiter Ort ist der Donnersberg in der Nordpfalz. Mit den Sagen zu diesem heiligen keltischen Ort bin ich aufgewachsen.

Seit Jahren gibt es ein stetig wachsendes Interesse an düsteren Orten. Woher kommt dieser Wunsch, sich zu gruseln?

Ich habe mich im Studium in meinem Nebenfach auch mit Tourismusforschung und Dark Tourism befasst. Dort habe ich gelernt, dass der Dark Tourism unter anderem dazu dient, sich mit Themen wie Tod, Angst und Katastrophen auseinanderzusetzen und zwar in einem ungefährlichen Kontext. Wir begegnen also unseren Ängsten und machen Grenzerfahrungen, das aber in einem sicheren Umfeld.

Steht das nicht im Widerspruch zur zunehmenden Rationalisierung in unsere Gesellschaft? Religion, Geister und so weiter werden für viele immer weniger wichtig.

Vielleicht liegt es gerade daran, dass uns Themen wie der Tod nicht mehr richtig nahe sind. Wir sehen Leid in den Nachrichten und in sozialen Medien, lernen aber nicht richtig, uns ganz persönlich damit auseinanderzusetzen. Gerade die Bereiche des Lebens, die uns ängstigen, faszinieren uns letztlich auch immer am meisten.

Auch interessant: Mehr bei Julia zur Geschichte des schaurig-schönen Matera.

Düstere Orte: Matera gehört mit seiner atmosphärischen Dichte zu den spannendsten Reisezielen in Europa.
Schaurig-schön: Matera gehört mit seiner atmosphärischen Dichte zu den spannendsten Reisezielen in Europa.

 

Hinter düsteren Orten verbirgt sich oft auch Leid. Gibt es Orte, von denen du findest, man sollte sie nicht besuchen? Beziehungsweise hast du welche nicht ins Buch aufgenommen?

Für mich habe ich schon im Titel „Schaurig-schönes Europa“ eine Abgrenzung gemacht. Es soll nicht nur schaurig, sondern auch schön sein. So wichtig ich es finde, Orte wie ehemalige Konzentrationslager als Form der Bildung zu besuchen, habe ich etwa Orte rund um den Zweiten Weltkrieg grösstenteils ausgelassen und fokussiere mich, auch auf meinem Blog „Schaurig-schön reisen“ auf eher atmosphärische Orte. Dark Tourism light sozusagen.

Der Besuch von Lost Places und anderen Gruselorte ist teilweise gefährlich und manchmal sogar rechtlich problematisch. Was empfiehlst du Lesern, die sich auf Reisen auch gruseln wollen?

Ich würde dringend davon abraten über Zäune zu klettern oder in baufällige Gebäude zu gehen. Ich bin übrigens selbst ein totaler Schisser. Wer sich ganz gefahrlos gruseln will, findet in fast allen Städten tolle Stadtführungen. In München habe ich gerade an zwei Führungen teilgenommen rund um schaurige und geheime Geschichten. Das finde ich total spannend und ist wirklich für jeden etwas.

Wie geht es bei dir weiter? Hast du noch einen ultimativen Gruselort, den du noch gerne besuchen wolltest, dich aber noch nicht getraut hast?

Ich möchte in nächster Zeit auf jeden Fall noch mehr gruselige Orte in Bayern erkunden und mich noch mehr in der Natur von schaurigen Sagen und Legenden faszinieren lassen. Was ich aber ganz oben auf meiner Liste habe, sind die Pyramiden und andere Nekropolen in Ägypten. Ein echter Traum, der sich hoffentlich bald erfüllen wird.

Lesetipp

Schaurig-schön in Europa unterwegs:
100 düstere Reiseziele

Düstere Burgen, mystische Wälder oder geheimnisvolle Moorlandschaften: Dark Tourism liegt gerade im Trend. Im kürzlich erschienen Bildband „Schaurig-schönes Europa“ führt die Reisebuch-Autorin und Bloggerin (www.bezirzt.de) Julia Schattauer ihre Leser an hundert aussergewöhnliche Orte mit Gänsehaut-Garantie.

Dabei bietet das Buch nicht nur jede Menge Inspiration zu bekannten und weniger bekannten Orten in Europa, sondern vermittelt in kurzen und prägnanten Texten auch das Wichtigste zur Geschichte der düsteren Sehenswürdigkeiten.

Julia Schattauer: Schaurig-schönes Europa, 100 spannende Orte. November 2023, 168 Seiten. Preis: ca. 24 Euro. Kaufen bei Amazon oder Thalia.

Hinweis: Diese Infobox enthält Werbung. Mehr zur Transparenz

Zum ersten Mal auf dieser Seite? Dann schau hier, worum es  bei mir geht. Folgst du dem Weltreiseforum schon länger und willst künftig keine Texte mehr verpassen? Dann melde abonniere doch am besten gleich meinen Whatsapp- oder meinen Telegram-Kanal.

Werbeanzeige

Oliver Zwahlen

Oliver ist ein passionierter Reiseblogger und Reisebuchautor aus der Region Basel, Schweiz. Er schrieb unter anderem die Bücher 111 Gründe, China zu lieben und Lost Places in den Schweizer Alpen. Seit über 20 Jahren nutzt Oliver jede Gelegenheit, mit dem Rucksack durch die Welt zu ziehen und darüber zu schreiben..

Hier weiter lesen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert