Seit 7 Jahren reisen Morten Hübbe und Rochssare Neromand-Soma per Anhalter durch die Welt und schreiben darüber auf ihrem Blog „Morten & Rochssare„. Im Interview des Monats schildert Morten, wieso Trampen für ihn die nachhaltigste Art des Reisens ist und wie das Reisen seinen Blick auf Deutschland verändert hat.
WRF: Zuerst mehrere Jahre in Südamerika, nun auf dem Landweg nach Indien: Könnt ihr euch überhaupt noch vorstellen, nicht per Anhalter zu reisen?
Morten Hübbe: Wir sind neulich für einen Visa-run von Bangkok nach Vientiane in Laos mit dem Reisebus gefahren. Das war so super einfach und bequem. Einsteigen, losfahren, ankommen. Aber so eine Busfahrt ist natürlich auch ein bisschen langweilig. Am Strassenrand weisst du dagegen nie, was passieren wird und wir werden immer wieder von der Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Menschen überrascht.
Ist es das, was für euch den Reiz dieser Art des Reisens ausmacht?
Zum einen ist es der Austausch mit dem Menschen. Wir reisen ja beim Trampen auf engem Raum mit völlig Fremden. In dieser Konstellation entstehen oft ganz ungezwungene Situationen. Natürlich können wir nicht mit jeder Mitfahrgelegenheit stundenlang quatschen, denn es gibt ja auch immer wieder Sprachbarrieren, aber die werden von beiden Seiten mit freundlichen Gesten umschifft. Beim Trampen werden Fremde zu Freunden, und das gefällt uns sehr. Außerdem ist das Reisen per Anhalter nachhaltig: Wir setzen allein auf den Verkehr, der auch ohne uns unterwegs wäre. So bleibt unser persönlicher ökologischer Fussabdruck beim Reisen winzig.
Man könnte euch aber auch vorwerfen, dass ihr den Reiseländern nichts zurückgebt. Denn ihr nutzt unterwegs ja hauptsächlich kostenlose Angebote wie Couchsurfing und Autostopp.
Wir reisen mit Couchsurfing und per Anhalter, weil wir die so entstandene Nähe mit den Einheimischen und den persönlichen und kulturellen Austausch sehr schätzen. Weil wir langsam reisen, bleiben wir überdurchschnittlich lange in einem Land und so kommen alle unsere Ausgaben direkt den Menschen vor Ort zugute: Wir essen in einheimischen Restaurants, kaufen Lebensmittel und Kleidung auf dem Markt, gehen zum Frisör an der Ecke, erledigen alle Dinge des täglichen Lebens in der lokalen Wirtschaft. Damit streuen wir unsere Ausgaben im Reiseland sehr weit und unterstützen viele kleine und mittelständische Unternehmen, anstatt nur ein paar wenige Hoteliers oder Agenturen zu bezahlen, bei denen nicht sicher ist, ob am Ende vielleicht nur irgendein Investor absahnt.
Was sind für Euch nachhaltige Reisen?
Nachhaltiges Reisen ist, wenn man sich seiner Umwelt bewusst ist. Nachhaltig ist alles, was das ökologische Gleichgewicht erhält oder verbessert. Nachhaltigkeit bedeutet auch, gelassen mit den Gegebenheiten umzugehen – nichts zu fordern, was gerade nicht möglich ist. Es ist also die Kunst, mit möglichst geringem ökologischem Fussabdruck durch die Welt zu kommen und sich dabei nicht zu verbissen anzustellen.
Der enge Kontakt mit den Einheimischen verändert auch den Blick auf die Heimat. Wie hat sich dieser bei euch verändert?
Ich bin immer wieder überrascht, welch guten Ruf Deutschland in der Welt besitzt. Ich habe deutsche Tugenden oft belächelt, aber mittlerweile verstehe ich, dass genau diese Tugenden – Pünktlichkeit, Fleiss, Ordnung – dazu beigetragen haben, dieses positive Bild Deutschlands zu erzeugen. Wir haben aber auch gelernt, dass in Deutschland auf einem sehr hohen Niveau unglaublich viel gejammert wird. Wenn man sich die Welt anschaut, dann haben wir in Deutschland mit sehr vielem Glück gehabt. Verglichen mit den Realitäten im Iran, in Pakistan oder in Indien müssten die Menschen in Deutschland eigentlich mit glücklichstem Dauergrinsen durch den Tag laufen.
Ihr seid dem klassischen Hippie-Trail nach Indien gefolgt. Gerade Beluchistan im Grenzgebiet von Iran und Pakistan hat den Ruf, eine gefährliche Gegend zu sein. Gab es brenzlige Situationen?
Glücklicher Weise gab es in Belutschistan keine Probleme. Wir sind dort mit einer Eskorte paramilitärischer Milizen, den Levies, gereist. So wie alle anderen, die durch die Region müssen, werden auch Reisende und Touristen von diesen bewaffneten Beschützern der Wüste begleitet. Brenzlig wurde es dagegen in der Türkei, als ein LKW-Fahrer versuchte uns auszurauben. Allerdings hatte er nicht mit unserem Widerstand gerechnet und war dann ganz verdutzt, dass wir nicht mit ihm kooperieren wollten. Letztendlich ist aber alles gut ausgegangen.
Bei der Lektüre eures neuen Buchs bekommt man den Eindruck, dass die grösste Gefahr ohnehin von der Polizei ausgeht. In Pakistan stürmte sie einmal die Wohnung eures Couchsurfing-Hosts.
Wir waren sehr gerne in Pakistan und mit der einheimischen Bevölkerung zusammen, aber die Autoritäten im Land – Polizei und Militär – sind eine ganz andere Nummer. Gerade weil Pakistan den miserablen Ruf eines Terrorstaates hat, werden ausländische Reisende prinzipiell verdächtigt, Spione zu sein und dementsprechend barsch behandelt. Seit unseren Erlebnissen in Pakistan halten wir uns von der Polizei lieber fern.
Andrerseits wurdet ihr auch mit einmaligen Erlebnissen belohnt. Was war eure verrückteste Mitfahrgelegenheit?
Ich denke unsere verrückteste Mitfahrgelegenheit waren die Schmuggler am Persischen Golf, die uns in ihr Auto ohne Rückbank einluden und sich während der Fahrt ein Strassenrennen mit einem ihrer Kollegen lieferten. Vom Angstschweiss, den sie uns verpassten mal abgesehen, waren die Jungs aber ausgesprochen freundlich. Sie haben uns sogar zum Eis eingeladen, bevor sie sich um ihr Schmuggelgut aus Dubai kümmerten.
Ihr seid zwei Jahre durch Südamerika getrampt und nun nach und durch Indien. Wo funktioniert das Trampen besser?
In Südamerika sind Tramper allgegenwärtig. Gerade in Argentinien, Uruguay und Chile steht man an den Wochenenden manchmal sogar in Tramperschlangen und muss warten, bis man an die Reihe kommt. In Europa funktioniert es ähnlich gut, aber wirklich hervorragend geeignet zum Reisen per Anhalter ist die Türkei. Wir haben dort nie länger als 10 Minuten am Straßenrand gewartet. Östlich der Türkei benötigt man fürs Trampen dann etwas mehr Geduld. Das liegt daran, dass das Konzept des Trampens in Ländern wie Iran, Pakistan aber auch in Indien kaum verbreitet ist. Zwar wurde uns in diesen Ländern immer Hilfe angeboten, die beschränkte sich zunächst aber oft darauf, uns zum Busbahnhof bringen zu wollen.
Euer Buch endet an der Grenze zu Indien. Heisst das, dass wir bald einen dritten Band eurer Abenteuer erwarten dürfen?
Wir schreiben schon fleissig an den Geschichten für einen Indien-Band. Vielleicht sprechen wir uns ja im nächsten Jahr wieder und halten dann schon unsere Indienabenteuer ausgedruckt in den Händen.
Das neueste Abenteuer von Morten und Rochssare gibt es seit kurzem in Buchform nachzulesen: „Per Anhalter nach Indien, Auf dem Landweg durch die Türkei, den Iran und Pakistan“ schildert kurzweilig das jüngste Abenteuer des wohl bekanntesten Langzeit-Tramperpaar Deutschlands. Wer mit dem Gedanken über eine Reise entlang des Hippie-Trails spielt, kommt an diesem Buch nicht vorbei. Prädikat: lesenwert.
Malik Verlag, März 2018. 320 Seiten, 16 Euro. Hier bei Amazon bestellen*.
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