Studienreise: Roadtrip zur afrikanischen Gründer-Szene
Max Ittermann reiste zusammen mit seinen Komilitionen Martin Kummann und Philipp Hoening während eines halben Jahres entlang der Westroute nach Südafrika. Unterwegs interviewten die drei für ihre Abschlussarbeit am Karlsruher Institut für Technologie einheimische Existenzgründer. Im jüngsten Interview des Monats geht es um die Erfahrungen auf der Reise und die teilweise überraschenden Befunde.
WRF: Ihr habt euch alle möglichen Startups in Afrika angeschaut. Was war das ausgefallenste Konzept, dem ihr begegnet seid?
Max Ittermann: Wir haben unglaublich viele interessante und ausgefallene Ideen kennengelernt. Es ist fast unmöglich, von DEM ausgefallensten Konzept zu sprechen. Ich versuche es mit Dreien:
Im WoeLab in Togo werden aus Elektroschrott 3D-Drucker gebaut. Zudem tauschen sie alte Computer für wenig Geld gegen selbstgebaute Rechner ein, welche sie aus alten Teilen zusammenbasteln – als Gehäuse kommen gebrauchte Wasserkanister zum Einsatz.
Farmable.me aus Ghana betreibt eine Crowd-Farming Plattform, bei der man gemeinsam mit der Community in Kühe investieren kann. Bauern auf dem Land sind dadurch schon während der Zucht liquide und können ihr Geschäft ausbauen. Insgesamt soll somit der Landflucht entgegengewirkt werden.
Die Bamboo Bikes Initiative, ebenfalls aus Ghana, stellt hochwertige Fahrradrahmen aus Bambus her. Für lokale Schulkinder nachhaltig und praktisch, für westliche Abnehmer Designobjekte. Ziel des Projekts ist es, junge Menschen in der Community handwerklich auszubilden und ihnen eine sinnvolle Beschäftigung zu ermöglichen.
An einer Stelle schreibt ihr, dass in Afrika häufig Konzepte umgesetzt werden, die es in anderen Ländern schon gibt. Zum Beispiel ein Amazon-Klon in Nigeria. Fehlt es in Afrika an Kreativität?
Dies kann ich definitiv verneinen! Afrika bietet eine Menge Möglichkeiten, als Unternehmer aktiv zu sein. Zum einen handelt es sich dabei natürlich um gängige, uns bekannte Konzepte, wie etwa Amazon oder Ebay. Diese sind jedoch nur auf den ersten Blick ein reiner „Abklatsch“, da in Wirklichkeit detailliertes Wissen über den lokalen Markt, die Kultur und vorhandene Infrastruktur erforderlich ist. Sowohl von lokalen als auch von ausländischen Unternehmen werden solche Konzepte aufgegriffen, und mit ebendiesem Know-How vollkommen anders umgesetzt – Raum für Kreativität gibt es hier genug. Auf der anderen Seite haben wir Ideen kennengelernt, welche uns nicht im Traum gekommen wären, etwa das oben beschriebene Crowd-Farming.
Im Beispiel des Amazon-Klons wurde die Firma von westlichen Ausländern gegründet. Ist dies häufig der Fall? Gibt es für Ausländer besondere Anreize, um in Afrika eine Firma zu gründen. Wenn ja wo und welche?
Auf jeden Fall! In Afrika gibt es eine Menge Geld zu verdienen, und zwar nicht nur durch Blutdiamanten und Öl. Es gibt generell eine unglaublich hohe Nachfrage, und zwar an Allem. Dies können Baumaterialien wie Nägel oder Wellblech sein, Konsumgüter wie etwa Shampoo oder Cremes, aber auch Dienstleistungen. Letzteres insbesondere für die Masse an Menschen mit herkömmlichen Mobiltelefonen. Intelligente Bezahlsysteme per Handy, egal ob Smartphone oder nicht, das Kaufen von Konzertkarten, das digitale Erledigen von Behördengängen – dies sind nur Beispiele für die Vielzahl an Möglichkeiten auf diesem Kontinent. Es ist das Ergebnis einer Entwicklung, welche immer mehr konsumfähige Menschen zur Folge hat. Deren Nachfrage zu bedienen, ist natürlich ein lukrativer Markt.
Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass wir eine Vielzahl von Indern, Libanesen und Chinesen angetroffen haben, welche erfolgreich in Afrika tätig sind. Sie sind sich nicht zu schade, „einfache“ – aber nicht zwangsläufig schlechte – Produkte herzustellen. Wir Deutschen hingegen denken da oft noch mit unserem High-Tech an den eigentlichen Bedürfnissen der Menschen vorbei. Hoffentlich ändert sich das bald!
Was können wir von der afrikanischen Startup-Szene lernen? Inwiefern können wir uns in Europa ein Stück abschneiden?
Bevor wir von der afrikanischen Start-up-Szene lernen können, müssen wir Europäer überhaupt erst einmal wissen, dass diese existiert. Afrika ist da. Und der Kontinent entwickelt sich derzeit schneller als jede andere Region in der Welt.
Aber wenn wir uns eine Sache von den Afrikanern abschauen sollten, dann ist es der allgemeine Optimismus. Menschen in Afrika blicken oft positiv in die Zukunft und sind dementsprechend auch zuversichtlicher, was ihre Geschäftsidee angeht. Natürlich ist Gründen risikobehaftet und mag schiefgehen. Doch erfolgreich kann man nur werden, wenn man an seine Idee glaubt.
Die Interviews mit Unternehmern sind teil eurer Masterarbeit. Wie wurde euer Abenteuer von den Professoren aufgenommen?
Gut! Ich denke, dass wir den Überraschungsmoment auf unserer Seite hatten, als wir das erste Mal mit unserer Idee beim Professor im Büro saßen. Das Interesse daran, was möglicherweise dabei herauskommt, war größer als die Zweifel. Natürlich ist die Bedingung nach wie vor, mit der Fragestellung thematisch zu der Ausrichtung des Instituts zu passen. Doch haben wir uns darauf geeinigt, diese erst nachträglich festzulegen – wir wussten ja nicht, was uns erwartet und welche Themen sich als besonders spannend herausstellen. Auf jeden Fall kann ich nur jedem Studenten empfehlen, für die eigene Abschlussarbeit kreativ zu sein. Professoren sind oft offener für verrückte Vorschläge, als man denkt!
Ihr habt auf einer Afrikadurchquerung die als problematischer geltende Westroute gewählt. Wieso?
Ursprünglich war es das Ziel, von Deutschland nach Ghana zu fahren – als Besuch bei Philipp’s ehemaliger Gastfamilie während seines Praktikums vor zwei Jahren. Als wir uns dann entschieden haben, bis nach Südafrika zu reisen, musste Ghana natürlich auch auf dem Programm stehen – also war klar, dass wir die Westroute nehmen.
Was den Ruf dieser Route beschädigt, sind vor allem zwei Punkte: Die Unpassierbarkeit vieler Regionen aufgrund der Regenzeit sowie der Stress: Schwierige Visa, Korruption, Kriminalität und Chaos. Ersteres können wir nicht bestreiten, es liegt aber vollkommen in der Hand des Reisenden, sich die passende Jahreszeit auszusuchen.
Den zweiten Punkt allerdings möchte ich relativieren. Westafrika erfordert Anpassungsfähigkeit. Streckenweise wird man alle fünf Kilometer von Polizisten angehalten, die Geschenke fordern. Das kann zwar manchmal nervig sein, aber mehr auch nicht. Denn bringt man etwa Zeit, Geduld und Freundlichkeit mit, so enden viele Situationen komplett anders, als man zunächst denkt. Man lernt schnell, mit vielen Situationen umzugehen. Hat man dies geschafft, so ist Westafrika einfach nur spannend und eine absolut lohnenswerte Route!
Die meisten Afrikareisenden meiden Grossstädte wie beispielsweise Lagos. Ihr habt dort Interviews geführt. Und Freetown bezeichnet ihr sogar als „ungeheuer symphatisch“. Werden afrikanische Grossstädte touristisch unterschätzt?
Für uns war es wichtig, auch einen Einblick in das normale Stadtleben zu bekommen. Essen in den kleinen Buden am Straßenrand, Besuch überfüllter Märkte und ein abendliches Bier in der Bar um die Ecke. Man baut schnell seine Ängste und Unsicherheiten ab und merkt, dass vieles genauso läuft wie bei uns. Großstädte bieten außerdem interessante Eindrücke in die Entwicklung eines Landes – sowohl positiv als auch negativ. Und natürlich haben wir hier eine Menge Unternehmer vorgefunden. Für uns waren die Großstädte daher touristisch hochinteressant. Letztendlich muss aber jeder Reisende selbst entscheiden, was er als Tourist erleben möchte.
Auf einem so langen Roadtrip habt ihr bestimmt auch jede Menge Abenteuer erlebt. Gab es auch Momente, wo ihr aufgeben wolltet?
Das ist eine gute Frage. Denn wir haben uns oft selbst gefragt, wann so eine Situation kommen wird – an Geschichten von Überfällen, Krankheiten und großen Autoschäden mangelt es ja nicht. Besonders um unseren heruntergewirtschafteten L300 haben wir uns oft Sorgen gemacht. Wir wurden jedoch von all dem verschont. Eine so „quasi“ reibungslose Afrikadurchquerung hätte ich mir vor Antritt der Reise nicht vorgestellt…
Welches ist der wichtigste Tipp, den du einem anderen Overlander auf der Westroute mitgeben würdest?
Auf der Westroute begegnet man fast jeden Tag vielen Menschen: Auf der Straße, bei Checkpoints, an Grenzen. Eine lockere, geduldige und freundliche Einstellung kann einen oft schneller und günstiger voranbringen. Davon abgesehen hat es natürlich viele Vorteile, im Team zu reisen. Und natürlich macht es Sinn, sich vorab den einen oder anderen Tipp von erfahrenen Overlandern zu besorgen. Doch insbesondere in Afrika gilt: Am Ende kommt alles anders als man denkt…
Die drei Stundenten berichten auf dem Blog Ideas Made In Africa von ihrer eindrücklichen Reise und informieren zudem auf der Facebookseite über Neuigkeiten rund um das Projekt.
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