Rajasthan gehört zu den beliebtesten Reisezielen Indiens. Eine Region im Nordosten des Bundestaats gibt es jedoch, die seit vielen Jahren von den Besuchern vernachlässigt wird: Shekhawati. Das ist erstaunlich, denn in den Havelis von Shekhawati befinden sich einige der schönsten Wandmalereien des Landes.
Wer Rajasthan sagt, denkt in der Regel an die Paläste der Moghul-Herrscher, an Kamelkarawanen in der Wüste und vielleicht an Männer im Turban, die Schlangen beschwören. Heute möchte ich aber von einer Ecke erzählen, die diesen Clichées nur bedingt entspricht: Die Rede ist von Shekhawati.
Was hier auffällt, ist die komplett andere Stadtstruktur: Während im Rest von Rajasthan die grösseren Ortschaften von ihren prächtigen Forts geprägt werden, sind es in Shekhawati die eher etwas kleineren Häuser, die den Blick auf sich lenken. Sie heissen Havelis und waren einst die Residenzen von wohlhabenden Händlerfamilien.
Was sie auszeichnet, sind ihre Wandmalereien. Mit kräftigen Farben und viel Liebe zum Detail zeigen sie religiöse Geschichten, aber manchmal auch völlig profane Dinge wie Autos, Eisenbahnen und Telefone. Und bisweilen gibt es auch bizarre Mischungen aus verschiedenen Welten, wie etwa auf einem Bild mit einem rauchenden Jesus.
Shekhawati wurde in meinem Reiseführer salopp als „grösste Bildgalerie der Welt unter freiem Himmel“ betitelt. Das mag übertrieben sein. Aber die Havelis sind zweifellos architektonische Perlen, die man auf einer Indienreise besucht haben sollte. Wieso ich das so sehe, wo du die schönsten Havelis findest und wie du sie am besten besuchst, das verrate ich in diesem Artikel.
.
Kurze Wirtschaftsgeschichte von Shekhawati
Obwohl das trockene Land am Rande der Thar-Wüste nur wenig Erträge einbrachte, profitierte Shekhawati von seiner Geografie. Denn da durch die Region wichtige Fernhandelsrouten verliefen, konnten lokale Händler trotz der schwierigen Bedingungen schon früh einen bescheidenen Wohlstand erreichen.
Das gilt besonders ab dem 17. Jahrhundert, als die Herrscher in den südlicher gelegenen Fürstentümer immer höhere Wegzölle verlangten, was den Warenverkehr in der abgelegenen Region Shekhawati zum Boomen brachte. Architektonisch passierte noch wenig: Die Händler lebten weiterhin in Lehmhütten, die heute kaum erhalten sind.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts setzte schliesslich der grosse Bauboom ein. Die meist muslimischen Händler begannen sich gegenseitig mit ihren Wohnsitzen zu übertrumpfen. Wer seinen Reichtum zur Schau stellen wollte, der tat dies nicht mit Gold und Marmor, sondern mit aufwändigen Wandmalereien – sowohl in den Innenräumen, wie auch an den Aussenfassaden.
Mit dem Zerfall des Osmanischen Reiches und der Verlagerung des Fernhandels vom Land auf maritime Routen, verlor die Region ihre wirtschaftliche Bedeutung. Die Händler wanderten in die Küstenstädte ab. Die seither nur noch spärlich unterhaltenen Prunkbauten wurden an ärmere Familien aus dem Umland vermietet. Teilweise bis heute.
Was ist ein Haveli überhaupt?
Doch was ist ein Haveli eigentlich genau? Das Wort kommt über den Umweg des Arabischen aus dem Persischen und bedeutet „umschlossener Hof“. Im Wesentlichen ist ein Haveli eine Variante der klassischen Karawanserei. Die Bauform gibt es deswegen keineswegs nur in Shekhawati. Besonders schöne Havelis sind auch in Jaisalmer und mehreren Städten in Pakistan zu finden. Ähnliche Bauformen gibt es in der ganzen islamischen Welt von der Türkei über den Iran bis nach Marokko.
Der Name schlägt sich in der Architektur nieder. In der Regel erreicht man durch ein kamelhohes Haupttor einen Innenhof, der für Besucher zugänglich war. Hier traf man sich und machte Geschäfte. Oft war hier auch ein repräsentatives Kontor angehängt, wo Geschäftspartner empfangen werden konnten. Durch einen Torbogen gelangt man in einen zweiten Innenhof, der für die Grossfamilie vorbehalten war. Besonders wohlhabende und grosse Familien hatten bis zu vier solche Höfe.
Häufig ist auch eine vertikale Unterteilung anzutreffen, bei der das Erdgeschoss als Warenlager diente, während die oberen Wohnbereiche über schmale Treppenaufgänge erreicht wurden. Die Möblierung in den privaten Räumen war aus heutiger Sicht eher bescheiden: Sie bestand hauptsächlich aus Kisten, Truhen und Kissen.
Interessant ist auch, dass die Wandmalereien im Verlaufe der Zeit einen gewaltigen Wandel durchlebten. So haben sich nicht nur die abgebildeten Motive geändert, sondern auch die benutzten Farben. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts bestanden sie aus Mineral- oder Pflanzenpigmenten, weshalb Ocker dominierte. Später kamen chemische Farben auf, was chromrot und ultramarinblau zu den vorherrschenden Farben machte.
Das Problem mit der Konservation
Der Besuch der Havelis von Shekhawati hinterliess in mir zweigespaltene Gefühle: Die Malereien und die Häuser sehen zweifellos sehr schön aus, oft sind sie aber in einem herzzerreissend desolaten Zustand. Der Verputz bröckelt ab; Wände und Decken sehen aus, als könnten sie jeden Augenblick einstürzen; bemalte Wände wurden mit Werbung überklebt.
Dass es Probleme beim Denkmalschutz gibt, hängt gleich mit mehreren Faktoren zusammen: Wie bereits erwähnt leben die Besitzer oft schon seit mehreren Generationen in anderen Landesteilen. Die alten Häuser sind für sie in erster Linie ein lästiges Erbe. Um wenigstens etwas aus den Immobilien rauszuholen, vermieten sie an arme Einheimische. Diesen fehlen jedoch selbst für die einfachsten Instandsetzungsarbeiten die Mittel.
Ein Besitzer, mit dem ich zufällig ins Gespräch kam, machte aber auch den Denkmalschutz mitverantwortlich. Da dieser sehr strenge und starre Regeln habe, seien selbst sanfte Modernisierungen, etwa in der Küche oder der Toilette, kaum möglich. Was eine Nutzung als Hotel oder Ferienhaus für Wohlhabendere faktisch ausschloss. Auch einen Verkauf liessen die Schutzverordnungen kaum zu, da ausländische Investoren explizit ausgeschlossen seien. Für viele, so der Besitzer, sei es daher die einfachste Lösung, die Häuser einfach verfallen zu lassen.
Wo finde ich die besten Havelis?
Die Region Shekhawati liegt im Städtedreieck Bikaner – Jaipur – Delhi und erstreckt sich über eine Fläche von etwa hundert mal hundert Kilometer. In diesem Gebiet findest du in praktisch jeder Stadt Havelis. Wenn du einen Fahrer und viel Zeit mitbringst, kannst du einfach durch die Gegend tuckern und dort bleiben, wo es dir gefällt. Falls du aber nur für einen Ort Zeit hast, empfehle ich folgende Ziele.
- Mandawa: Hier verbrachte ich gleich zwei Tage. Im Zentrum des kleinen Städtchens befindet sich ein regelrechtes Cluster mit verschiedenen Havelis, von denen sich viele auch besuchen lassen. Der Vorteil von Mandawa ist, dass hier die touristische Infrastruktur vergleichsweise gut ist. Du hast nicht nur eine Handvoll schöner Hotels in unterschiedlichen Preisklassen, sondern auch einen halbwegs gut ausgestatteten Supermarkt, mehrere Restaurants und Anbieter von touristischen Dienstleistungen. Wer sich alles selber organisiert, wird hier am besten aufgehoben sein – auch weil Mandawa ziemlich mittig zwischen all den Sehenswürdigkeiten liegt. Ich war im Hotel Radhika Haveli*, das ist an dieser Stelle gerne weiterempfehle. Ideal für Backpacker.
- Churu: Mit rund 130.000 Einwohnern ist Churu eine der grösseren Städte der Region, was vielleicht der Grund dafür ist, dass Besucher den Ort meistens links liegen lassen. Für mich war es jedoch das Highlight der Region. Nirgendwo erschien mir die Vielfalt der Havelis grösser als im historischen Zentrum von Churu – das erstaunlicherweise praktisch menschenleer war. Der Vorteil von Churu ist ausserdem, dass du im (nicht besonders schönen) modernen Zentrum viele Möglichkeiten zum Essen und Einkaufen hast. Wem der Sinn nach etwas Gehobenerem, aber noch immer bezahlbarem steht, ist das Hotel Malji Ka Kamra* in Churu zu empfehlen, das auch verschiedene Touren anbietet. Wähle unbedingt einen der bemalten Räume.
- Fatehpur: Diese staubige Kleinstadt hat zahlreiche Havelis entlang einer chaotischen Hauptstrasse. Die alten Häuser sind hier in einem besonders schlechten Zustand, teilweise mit betonierten Anbauten. Trotzdem lässt sich die vergangene Pracht noch immer erkennen. Sehenswert ist das Haveli Nadine Le Prince, das von einer französischen Künstlerin liebevoll restauriert und in ein Hotel, Restaurant und Kulturzentrum umgewandelt wurde. Etwas unsympathisch ist allerdings, dass man auf dem Weg zum Essen vom Fotografieren der Wandgemälde abgehalten wird.
- Weitere Orte: Häufig genannt werden ausserdem Ramgarh, Mahansar, Nawalgarh und Jhunjhunu, die ich allerdings alle nicht selber besucht habe.
Bei meinem Besuch während der Hauptsaison im Februar waren in den Hotels zwar jeweils nur wenige Zimmer belegt. Aber da es insgesamt wenig Betten gibt und in den familiengeführten Unterkünften manchmal stundenlang niemand zu finden ist, würde ich trotzdem eine Reservation empfehlen.
Praktische Tipps:
Wie kann ich Havelis besuchen?
Da die Havelis vor allem von Innen besonders schön sind, wirst du sie natürlich auch betreten wollen. Das ist allerdings nicht so ganz einfach, weil sich ein Grossteil der Häuser in Privatbesitz befindet. Für deinen Besuch hast du deswegen im Wesentlichen drei Möglichkeiten:
Erstens sind einige der besonders schönen Havelis in Hotels umgebaut worden. Alle Unterkünfte, die ich besichtigte, waren sehr liebevoll renoviert worden und – soweit ich das beurteilen kann – mit zeitgenössischen Möbeln dekoriert worden. Da Unterkünfte in Indien in der Regel erschwinglich sind, würde ich unbedingt empfehlen, etwas mehr zu bezahlen und in einem dieser Heritage-Hotels zu übernachten.
Zweitens sind ein Teil der Havelis in „Museen“ umgewandelt worden. Hier gibt es ein kleines Kassenhäuschen, wo du eine Kleinigkeit bezahlst (ungefähr einen Euro), dann kannst du dir die Häuser und ein paar Ausstellungsobjekte in Ruhe anschauen. Das ist ganz interessant, aber du solltest die Erwartungen nicht zu hoch setzen, nur weil irgendwo „Museum“ steht. In der Regel gibt es neben den Malereien kaum etwas zu sehen.
Drittens kannst du auch Havelis besuchen, die noch bewohnt sind. Das funktioniert folgendermassen: In vielen Häusern leben Mieter oder auch die schlecht bezahlten Verwalter mit ihren Familien. Sie sind oft bereit, für einen kleinen Betrag Touristen durch die Gemächer zu führen. Das ist auch deswegen interessant, weil man so einen Einblick bekommt, wie die Leute heute in den historischen Gebäuden leben. Ohne Kontakte ist es aber oft schwer, die richtigen Ansprechpersonen zu finden. Am besten lässt du dir im Hotel einen Guide empfehlen. Rechne mit etwa 5 Euro für eine zweistündige Führung.
Wie komme ich am besten nach Shekhawati?
Von Delhi aus erreichst du die Region am besten mit dem Zug. Es gibt mindestens eine direkte Verbindung pro Tag nach Churu, die etwa fünf Stunden dauert. Alternativ gibt es natürlich auch Busverbindungen, die aber deutlich weniger komfortabel sind.
Ab Jaipur ist eine Anreise mit dem Bus praktischer, alternativ kannst du auch ein Taxi nehmen. Die 160 Kilometer sollten für die meisten Reisenden bezahlbar sein. Fathepur ist von Jaipur aus gesehen am nächsten und durchaus sehenswert.
Generell finde ich, dass die Shekhawati-Region ein hervorragender erster Stopp ist, falls du eine Rundreise durch Rajasthan mit einem eigenen Fahrer planst. Wir sind damals Richtung Bikaner weitergereist.
Weiterlesen
- Alles, was du vor deiner ersten Indienreise wissen solltest
- Die zehn wichtigsten Sehenswürdigkeiten von Rajasthan
- Vor- und Nachteile vom Reisen mit privaten Fahrern
- Reni & Marcel von Swiss Nomads schwärmen ebenfalls von den bunten Havelis von Shekhawati
- Ausführlicher Reisebericht zu Mandawa auf Reisesicht.de
- Auch Manu von worldcalling4me schrieb über die Havelis von Mandawa
Fazit
Ein Besuch der Havelis von Shekhawati ist ein spannender Kompromis zwischen Geheimtipp und spannenden Sehenswürdigkeiten. Was angesichts der leichten Zugänglichkeit der Region und der Nähe von den touristischen Hotspots von Rajasthan ziemlich überraschend ist.
Mir gefiel es sehr gut, drei Tage in der Region zu verbringen und die unterschiedlichen Gebäude zu erkunden. Allerdings muss ich hier auch anmerken, dass sich Stil und Design der Havelis wiederholen, weshalb ich zwei bis höchstens drei Tage für eine angemessene Dauer finde. Aber diese Zeit sollte man sich für die aussergewöhnliche Region schon geben.
Zum ersten Mal auf dieser Seite? Dann schau hier, worum es bei mir geht. Folgst du dem Weltreiseforum schon länger und willst künftig keine Texte mehr verpassen? Dann melde abonniere doch am besten gleich meinen Whatsapp- oder meinen Telegram-Kanal.
Danke für den gut recherchierten Bericht mit wunderschönen Fotos. Auf meiner Indienreise habe ich in Mandawa in einem Haveli Hotel übernachtet, sehr schön! Am nächsten Tag gab es eine kleine Führung. Ich fand die Malereien faszinierend, war aber ebenfalls erstaunt, dass viele Gebäude fast verfallen waren. Durch deinen Post habe ich verstanden, woran das liegen könnte.
In meinem Reiseblog habe ich bisher nur über das Taj Mahal gepostet. Teilweise liegt das daran, dass ich keine Bildrechte verletzen möchte. Ich würde gerne etwas über die prächtige Innenausstattung der Moghul- Paläste veröffentlichen. Meine Nachfrage bei der deutschen Botschaft in Delhi, wen ich um Genehmigung bitten sollte, wurde leider vor längerer Zeit damit beantwortet, dass man genug mit Corona zu tun habe. Wie handhabst du das ?
Ich bin kein Anwalt und kann da leider keine kompetente Rechtsberatung geben. Aber in Indien ist es doch so, dass du für die meisten Sehenswürdigkeiten sowieso Bildlizenzen kaufen musst. Da kannst du direkt nachfragen, welche Nutzung du mit der Lizenz genau erworben hast. Nach meinem Verständnis umfasst das auch die redaktionelle Nutzung. Und wenn du privat irgendwo bist, kannst du die Besitzer ja problemlos fragen. Was von der Strasse aus zu sehen ist, ist generell unproblematisch. Aber die Antwort der Botschaft ist schon ein bisschen enttäuschend.
Hallo Oliver
Ah, da tauchen wir ja gleich wieder in die faszinierende Welt Indiens ab. Ein toller Bericht mit schönen Fotos. Da kommt uns einiges bekannt vor. Vielen Dank auch für die Erwähnung. Wir waren sehr beeindruckt von Shekhawati und den wundervollen Havelis.
Liebe Grüsse, Reni