Portrait: Vom Bombenleger zum Radiomoderator

Rafiq in seinem Café Matahari, das direkt neben dem Rundfunksender steht. Foto: Oliver Zwahlen
Rafiq in seinem Café Matahari, das direkt neben dem Rundfunksender steht. Foto: Oliver Zwahlen

Als vor rund zehn Jahren in Zentralsulawesi (Indonesien) ein blutiger Bürgerkrieg tobte, begann Rafiq Bomben zu bauen. Heute führt er in Poso einen kleinen Lokalradiosender, in dem er sich für Toleranz, Gerechtigkeit und gewaltfreie Konfliktlösungen einsetzt. Wir haben mit dem 40-Jährigen Indonesier gesprochen.

Das Logo des Radiosenders ziert die Wand, vier Mikrophone sind auf Ständern festgebunden und in der Mitte prangt ein einfaches Mischpult: Die Einrichtung des Studios ist simpel. Selbst das berühmte Licht fehlt, das anzeigt, dass man gerade auf Sendung ist. Hier sitzt der 40-jährige Indonesier Rafiq und unterhält sich gerade angeregt mit einer holländischen Akademikerin. Im einstündigen Programm befragt er Lisanne Boersma zum touristischen Potential von Poso und will mehr über ihre Forschungsergebnisse rund um den blutigen Konflikt  zwischen Christen und Muslimen wissen. Mindestens 1000 Menschen waren ab 1998 bei den acht Jahre dauernden Zusammenstößen getötet worden. Eine Frage die immer wieder auftaucht: Wie sorgt der holländische Staat dafür, dass sich die Angehörige unterschiedlicher Religionen nicht bekriegen.

Für Radio Matahari sind solche Gesprächsrunden eines der wichtigsten Elemente.  „Wir sind die unabhängige Stimme von Poso“, erklärt Rafiq später im Gespräch. Es gebe zwar noch zwei andere Sender in der Stadt. Doch einer werde von der Regierung betrieben, der andere von der Polizei. „Die Journalisten können nicht frei berichten. Propaganda ist auf diesen Sendern an der Tagesordnung.“ Auch Radio Matahari habe unter der Einflussnahme der Regierung zu leiden. Sechs Jahre lang musste Rafiq sein Programm als Piratensender ausstrahlen, bis er endlich eine Lizenz erhielt.  Mehr noch: „Bei heiklen Themen kommt es hin und wieder vor, dass plötzlich der Strom ausfällt.“ Ob dies wirklich eine Form der Zensur darstellt, ist allerdings unklar: Stromausfälle gibt es in der Stadt nämlich immer mal wieder.

Der bekehrte Gotteskrieger

Rafiqs Leben war nicht immer dem friedlichen Zusammenleben gewidmet. Auf dem Höhepunkt des Konflikts zwischen Christen und Muslimen hatte der ausgebildete Elektriker begonnen, Bomben zu bauen. Bomben für Attentate. Bomben, die töten sollte. „Entweder sterben wir oder sie: so war die Situation damals“, erklärt er, ohne eine Miene zu verziehen. Doch dann lief bei einer Vorbereitung etwas falsch und Rafiq wurde erwischt. Sechs Monate lang musste er ins Gefängnis.

Ich frage Rafiq, wie er sich damals verstanden habe, und ob er sich damals oder heute als Terrorist bezeichnen würde.  Rafiq schaut eine Weile abwesend in die Ferne und schüttelt dann den Kopf. Der Begriff sei in Indonesien erst mit den Attentaten auf Bali aufgekommen. Ein Mujaheddin sei er gewesen, ja, ein Gotteskrieger.

Rafiq (2.v.l.) bei einer Diskussionssendung mit Lisanne Boersma.
Rafiq (2.v.l.) bei einer Diskussionssendung mit Lisanne Boersma.

„Die Gefängnisstrafe war viel zu gering“, fährt er fort. In der Zelle hatte er viel Zeit, über sich und sein bisherige Leben nachzudenken. „Ich wollte etwas Sinnvolles tun, sobald ich wieder frei war“, erinnert sich Rafiq. So baute er zuerst ein kleines Kaffee auf, in dem sich die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen begegnen sollen und wo er allerhand Aufklärungsarbeit leistet. Später kamen die Radiostation und eine Billardhalle hinzu.  Da die Werbeeinnahmen die laufenden Betriebskosten noch nicht decken, wird der Verdienst vom Café und der Billardhalle verwendet, um die unabhängige Stimme Posos am Leben zu erhalten.

Große Pläne

Die weiteren Pläne von Radio Matahari sind ehrgeizig. Derzeit wird das Programm über einen 1KW-Sender ausgestrahlt, der im Garten steht. Die maximale Reichweite beträgt 140 Kilometer, doch in der bergigen Region gibt es zahlreiche Funklöcher. „Außerdem schwankt die Stromspannung ständig zwischen 180 und 220 Volt. Das beeinflusst die Reichweite ebenfalls“, so Rafiq. Wie viele Hörer er mit seinem Programm anzieht, weiß er nicht. Aber es gebe viele Rückfragen aus dem Publikum, versichert er. Bald dürfte sich die Reichweite ohnehin vergrößern. Rafiq will ein regelrechtes Netzwerk von kleineren Regionalsendern aufziehen, die lose miteinander zusammenarbeiten.

Unabhängige Medien seien wichtig, insbesondere auch um die letzten Verwirrungen im Konflikt zu lösen. Rafiq ist überzeugt, dass die Menschen schon lange wieder in Frieden zusammenleben.  Die Bomben, die jetzt noch hochgehen, seien Teil einer Verschwörung: Die Polizei fürchte nämlich, dass mit einem Abflauen der Bedrohung die Gelder aus Jakarta verschwinden würden. „Deswegen legt die Polizei die Bomben nun selber.“ Um das zu beweisen, klaubt Rafiq sein Handy hervor und beginnt Bilder von verstümmelten Menschen und herumliegenden Gliedmaßen zu zeigen. Ich kann die schrecklichen Fotos kaum anschauen und der Argumentation vom Experten nicht wirklich folgen. Später erfahre ich jedoch, dass Rafiq mit dieser Einschätzung bei weitem nicht alleine dasteht.

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