Leuchtend gelbe Birkenwälder, endlose Sandstrände und ein paar eher ausgefallene Sehenswürdigkeiten: Diese Mischung macht die jahrzehntelang unzugängliche Insel vor der estnischen Küste zu einem traumhaften Reiseziel – nicht nur im Herbst.
Heute möchte ich über eine Insel schreiben, die in unseren Breiten eher unbekannt ist – und dies, obwohl sie eigentlich alles hat, was es für ein perfektes Reiseziel braucht. Die Rede ist von der viertgrössten Ostsee-Insel. Sie heisst Saaremaa (auf Deutsch auch Ösel) und liegt gar nicht so weit entfernt vom finnischen Schärenmeer, in das ich mich im vergangenen Herbst verliebt habe.
Wenn es dir so geht wie mir, dann hast du möglicherweise noch nie von Saaremaa gehört. Dass die Insel in unserer kollektiven Wahrnehmung keine so grosse Rolle spielt, hängt mit ihrer Geschichte zusammen: Als westlichstes Landstück der ehemaligen Sowjetunion hatte Saaremaa eine grosse militärische Bedeutung und war deswegen bis zur estnischen Unabhängigkeit ein Sperrgebiet.
So kommt es, dass du noch heute immer wieder auf verfallene Bunker stösst oder Gegenden besuchst, die deswegen so menschenleer sind, weil die damaligen Bewohner nach Sibirien zwangsumgesiedelt worden waren. Gleichzeitig hat die Isolation jedoch auch zu einer eigenen Identität der Insulaner beigetragen, die sich – wie mir Einheimische wiederholt versicherten – bis heute von den Festländern unterscheidet.
Bei meinem Besuch im Oktober gab es so gut wie keine anderen Besucher, obwohl die bunten Wälder bezaubernd und die Temperaturen noch sehr angenehm waren. Während der Sommerferien, wenn auch viele Esten hier Urlaub machen, soll es etwas voller werden. Überlaufen ist die Insel aber auch dann nicht.
In diesem Artikel nenne ich dir die die fünf Gründe, weswegen ich mich ein bisschen in die Insel verguckt habe und erzähle dir, was du auf Saaremaa alles erleben kannst. Am Ende gebe ich, wie immer, ein paar praktische Tipps, wenn du die Insel ebenfalls auf eigene Faust erkunden möchtest.
Grund 1: Die Küsten
Saaremaa bietet eine überraschende Vielfalt an unterschiedlichen Küsten. Egal, ob du endlose Sand- und Kieselstrände magst oder eher wilde Klippen bevorzugst: Auf Saaremaa findest du bestimmt einen Abschnitt, in den du dich verlieben kannst.
Am bekanntesten sind die Steilküsten im Norden der Insel. Ihre Erkundung beginnst du am besten mit den rund 20 Meter hohen Panga-Klippen. Hier kannst du auf einem Rundweg einen gemütlichen Spaziergang unternehmen und einen der atemberaubendsten Sonnenuntergänge der Insel geniessen. Ausserdem findest du hier eine alte Opferstädte und ein knorriger Eichenwald.
Die Tagaranna-Steilküste bei Ninase hat mir persönlich sogar noch ein bisschen besser gefallen. Die Klippen sind mit ihren fünf Metern zwar nicht ganz so eindrücklich, doch das macht die Wildheit der Gegend wieder wett. Falls du mit Kindern unterwegs bist: Hier findest du viele Fossilien. Mich hat die Gegend ein bisschen an die Rota Vicentina in Portugal erinnert.
Der schönste Sandstrand liegt im Norden des Vilsandi Nationalparks auf der Harilaid-Halbinsel. Er ist mehrere Kilometer lang, überraschend feinsandig und zumindest im Herbst absolut menschenleer. Von hier aus kannst du auch zu einem (buchstäblich) schrägen Leuchtturm wandern oder in der richtigen Jahreszeit Bootsfahrten unternehmen, um Robben zu beobachten.
Grund 2: Die Leuchttürme
Leuchttürme sind für mich das Fernwehsymbol schlechthin. Sie stehen für den Aufbruch in grosse Abenteuer, gleichzeitig aber auch für eine sichere Rückkehr. Da einige Leuchttürme, die über die Insel verteilt sind, schon etwas in die Tage gekommen sind, kam in mir immer wieder ein Gefühl von Nostalgie auf. Mindestens zwei solltest du dir ansehen:
Als erstes empfehle ich dir einen Besuch des Kiipsaare Tuletorn im oben erwähnten Vilsandi Nationalpark. Die 25 Meter hohe Navigationshilfe war 1933 auf Sand errichtet worden. Über die Jahre ist dieser allerdings weggespült worden, so dass der Leuchtturm heute (ein bisschen schräg) im Wasser steht.
Als zweites empfehle ich dir, den Sörve Tuletorn in Sääre zu besuchen. Der Leuchtturm an der Südspitze von Saaremaa entstand zu Sowjetzeiten und ist daher entsprechend pompös. Mit etwas Glück kannst du sogar über eine abenteuerliche Treppenkonstruktion auf die Aussichtsplattform in 52 Meter Höhe gelangen. Einzigartig ist hier eine wenige Meter schmale Landzunge, die etwa einen halben Kilometer ins Meer ragt.
Grund 3: Die Windmühlen
Noch nie habe ich an einem Ort so viele Windmühlen gesehen wie auf Saaremaa. Früher hatte jeder Hof eine eigene und viele davon sind unterschiedlich gut erhalten blieben. Windmühlen findest du ausserdem auf dem lokalen Mineralwasser, dem Hartkäse oder dem Weizenbier. So erkennst du heimische Marken.
Kulturgeschichtlich interessant ist übrigens, dass es sich in den meisten Fällen um sogenannte Bockwindmühlen handelt, einer besonders altertümlichen Konstruktionsweise, bei der das gesamte Mühlenhaus auf einem dicken Pfahl steht und sich mittels eines Aussenbalkens in den Wind drehen lässt.
Besonders attraktiv ist der Windmühlenhügel von Angla. Hier findest du gleich fünf alte Windmühlen, die du teilweise auch von Innen besichtigen kannst. Lass dich nicht vom heutigen Museum irritieren: Die Windmühlen stehen seit über hundert Jahren hier. Die Dorfbewohner auf Saaremaa errichteten ihre Mühlen früher häufig gemeinsam auf dem windgünstigsten Hügel.
In der Nähe von Ninase befinden sich zwei der ungewöhnlichsten Windmühlen der ganzen Insel: Ein lokaler Künstler hat sie vor einigen Jahren umgewandelt in Skulpturen einer alten Frau und eines alten Manns (Piret und Suur Töll). Vor der Heirat legen Frauen hier einen Zettel mit ihrem Mädchennamen unter Pirets Rock. Das soll zu einer glücklichen Ehe führen.
Unbedingt auf die Liste nehmen solltest du auch das Restaurant Saaremaa Veski. Es befindet sich im Zentrum der Hauptstadt Kuressaare in einer ehemaligen Windmühle Hier kannst du für wenig Geld leckeres estnisches Essen probieren. Im Sommer finden im Garten teilweise Folklore-Shows statt.
Wenn du noch immer nicht genug hast, kannst du sogar in einer renovierten Mühle übernachten. Diese Unterkunft solltest du aber unbedingt frühzeitig reservieren, da sie immer schnell ausgebucht ist. Beachte, dass du hier mangels Isolation nur in der warmen Jahreszeit übernachten kannst. Mehr Infos findest du hier.
Grund 4: Die alten Häuschen
Geographisch wird Estland häufig Osteuropa zugerechnet. Wenn du allerdings durch die Dörfer oder die etwas grössere Hauptstadt Kuressaare spazierst, fühlst du dich eher an Skandinavien erinnert. Grund sind die vielen hübschen Holzhäuser, die du überall siehst.
Besonders schön fand ich das Dorf Ninase. Die Holzhäuser sind hier überdurchschnittlich gut gepflegt und ordentlich hergerichtet. Die Grundstücke sind von Mauern aus lose aufeinander aufgeschichteten Steinen umgeben.
Viele tolle Holzbauten findest du natürlich auch in Kuressaare. Herausragend sind die Villen, die direkt am Wassergraben der ebenfalls sehr sehenswerten Arensburg stehen. Aber du kannst auch einfach durch das Städtchen schlendern und die Architektur bewundern. Schön ist, das die Häuser noch immer bewohnt werden.
Grund 5: Der Meteoritenkrater
Hast du dir schon einmal überlegt, was geschieht, wenn eine Eisenkugel mit einem Durchmesser von 50 Zentimeter mit einer Geschwindigkeit von 15 Kilometer pro Sekunde auf die Erde prallt? Genau das ist vor etwa 3500 Jahren auf der Insel Saaremaa geschehen.
Der beim Aufprall entstandene Kaali-Krater gehört für mich zu den eindrücklichsten Sehenswürdigkeiten der Insel. Hier kannst du auf dem Kraterrand spazieren oder auf einer Treppe bis zum See in der Mitte hinabsteigen. Besonders schön ist der Krater im Herbst, wenn sich der bewaldete Kraterrand bunt verfärbt.
In unmittelbarer Nähe des Kraters gibt es ausserdem ein kleines Museum, das sich der Einschlagstelle und dem Thema Meteoriten ganz allgemein widmet. Auf den Schautafeln kannst du ein paar interessante Dinge erfahren, aber du verpasst auch nicht viel, wenn du das Museum auslässt.
Praktische Tipps für Saaremaa
Anreise und Rumkommen:
Obwohl seit vielen Jahren darüber diskutiert wird, ist Saaremaa noch immer nicht über eine Brücke mit dem Festland verbunden. Das heisst: Um die Insel zu erreichen, musst du mit der Fähre übersetzen. Auch wenn die Fahrt nur etwa 30 Minuten dauert, verlängert sich die Anreise alleine schon wegen der Wartezeit stark.
Am einfachsten ist die Anreise ab Tallinn, von wo aus regelmässig Busse in Richtung Inselhauptstadt Kurrassaare (in manchen Buchungsportalen auch: Arensburg) aufbrechen. Die Fahrt dauert etwa vier Stunden und kostet je nach Anbieter um die 10 bis 15 Euro. Alternativ kannst du auch fliegen. Mit etwas Glück findest du sehr preiswerte Angebote. Lies hier, wie du günstige Flüge recherchierst.
Mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichst du zwar alle wichtigen Orte, aber da die Insel dünn besiedelt ist, solltest du dich auf teilweise sehr lange Wartezeiten und schlechte Verbindungen gefasst machen. Ich empfehle dir deswegen, in Tallinn ein Auto zu mieten.
Ich habe bei billiger-mietwagen.de* ein unglaublich günstiges Angebot gefunden: 80 Euro für 14 Tage. Rechne aber im Normalfall mit Preisen ab etwa 12 Euro pro Tag für einen Kleinwagen. Beachte, dass bei den ganz günstigen Angeboten häufig die Versicherungsleistung ungenügend ist und du im Fall eines Unfalls teilweise hohe Selbstbehalte bezahlen musst. Siehe hierzu auch meinen Artikel über die Fallen bei Leihwagen.
Das weitgehend flache Saaremaa ist ausserdem ideal für Fahrradtouren geeignet. Räder kannst du günstig bei der Tourismus Information in Kuressaare mieten. Sie befindet sich im historischen Zentrum im Rathhaus.
Unterkünfte auf Saaremaa
Zu den Besonderheiten der Insel gehört, dass du an total abgelegenen Orten Unterkünfte mieten kannst, die von einfachen Hütten bis zu regelrechten Villen für Familien oder grössere Gruppen von Freunden reichen.
Meine liebste Unterkunft war das Onneoru Holiday House* in der Nähe des Vilsandi Nationalparks. Das leider etwas teure Haus verfügt über drei Schlafzimmer, einen grossen Wohnbereich sowie eine private Sauna und einen mit Holz befeuerten Jacuzzi im Freien. Während ich am Abend gemütlich im Wasser lag, konnte ich im Wald Augen sehen, die mich beobachten. Zum Glück gibt es auf der Insel keine gefährlichen Tiere.
Ebenfalls sehr gut hat mir das Ferienhaus White Villa* in Kuressaare gefallen. Auch hier ist Platz für eine sehr grosse Familie und der weisse Flügel im Wohnzimmer sieht nicht nur gut aus, sondern macht auch Spass zu spielen.
Falls dir der Sinn eher nach einem Hotel steht, kann ich das Georg Ots Spa Hotel* im Hafen von Kuressare empfehlen. Die Zimmer sind zwar etwas klein, bieten aber einen wundervollen Ausblick auf das Schloss. Empfehlenswert ist auch das Restaurant hier, das eine gehobene estnische Küche anbietet. Wer hier wohnt, hat ausserdem Zugang zum Wellness-Bereich, der aus mehreren Saunen und Badebecken besteht.
Nimm in der Nebensaison unbedingt ein Handy mit. Die Ferienhäuser und Hotels haben im Herbst teilweise so wenige Gäste, dass sie die Rezeption nicht rund um die Uhr besetzen und du deswegen die Mitarbeiter zuerst anrufen musst. Klingt schlimmer als es ist: bei mir dauerte es nie länger als 5 Minuten, bis jemand mit dem Schlüssel auftauchte.
Schlussbemerkung
Nachdem ich mich im vergangenen Jahren in den finnischen Herbst verliebt habe, wollte ich mir unbedingt anschauen, ob mir auch andere Länder an der Ostsee so gut gefallen. Und tatsächlich: Auch Estland und hier ganz besonders Saaremaa hat es mir total angetan mit den verschlafenen Dörfern, den malerischen Windmühlen und dem wildromantischen Leuchttürmen.
Offenlegung: Die Reise wurde von Visit Saaremaa mit Übernachtungen unterstützt. Zudem sind im Text vereinzelt Werbelinks, die du am *Sternchen erkennst.
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Schöner Artikel und tolle Bilder – Saaremaa ist auch im Herbst definitiv eine Reise wert!