„Reisen macht süchtig!“ Wer einmal am Backpacker-Stammtisch eines Hostels sass oder Reiseforen im Internet durchstöbert hat, ist bestimmt schon über diesen Satz gestolpert. Doch kann man überhaupt süchtig nach Reisen sein? Und was passiert, wenn die ganze Welt auf Entzug ist?
Der Vergleich von Reisen und Sucht kommt nicht von Ungefähr: Einmal in der Ferne und schon ist man dem Reiz des Reisens verfallen. So ist es zumindest mir ergangen. Lange hatte ich mich vor meiner ersten Solo-Reise gedrückt. Selbst nachdem ich mich durchgerungen hatte, den Flug nach Peru zu buchen, zweifelte ich an meiner Entscheidung. Auf den ersten Tagen meiner Tour fühlte ich mich unsicher und einsam.
Doch dann erlebte ich so etwas wie einen „Kick“. Ich hatte verstanden, wie ich am besten auf andere Menschen zugehe und Kontakte knüpfe. Aber auch, dass ich mit einem Glücksgefühl belohnt werde, wenn ich mich zu etwas aufrapple und den inneren Schweinehund überwinde. Ein Gefühl, das ich in den folgenden Tagen und Wochen immer wieder suchte und das mir bald unentbehrlich schien. Lange bevor die Rückreise anstand, kreiste in mir nur ein einziger Gedanke: Wo soll es als nächstes hingehen.
Nicht nur die Suche nach dem nächsten Kick schreit nach einem Vergleich zum Suchtverhalten, sondern auch der Drang zur „Dosissteigerung“. Mit jedem neuen Land und mit jeder neuen Kultur wurde meine Bucket-List länger. Jede neue Destination musste ein intensiveres Reise-Erlebnis und noch grössere Herausforderungen mit sich bringen. Immer abgelegener wurden meine Traumziele. Und wenn ich mich in meiner Reise-Bubble umhöre, zeigt sich: Ich bin bei weitem nicht der einzige, dem das so ergangen ist. Ich verstehe jeden, der darin ein klassisches Suchtverhalten zu erkennen glaubt. Doch was ist wirklich dran, an dieser „Reisesucht“?
Reisesucht als medizin-historisches Problem
Bei der Diskussion wird häufig die Dissertation des französischen Neuropsychologen Philippe Tissié zitiert. In der 1887 erschienen Arbeit über „geistesgestörte Reisende“ beschrieb er den Fall eines gewissen Jean-Albert Dadas. Der junge Mann war in der südwestfranzösischen Hafenstadt Bordeaux bei den Gaswerken angestellt und verschwand immer wieder überraschend von seinem Arbeitsplatz.
In der Zeit seines Untertauchens unternahm er jeweils gewaltige Wanderungen durch ganz Europa. Einmal lief er über Prag und Berlin bis nach Moskau, wo er wegen Terrorverdacht des Landes verwiesen worden war. Über das damalige Konstantinopel und Wien wanderte er zurück nach Frankreich. Ein anderes Mal schrieb er sich bei der französischen Armee ein, desertierte aber bald darauf.
Das Überraschende an Dadas Geschichte ist indes nicht seine zweifellos ansehnliche Laufleistung, sondern die Tatsache, dass er sich später an keine seiner Reisen erinnerte. Als „Dromomanie“ bezeichnete Tissié in seiner Dissertation das Krankheitsbild. In den folgenden zwanzig Jahren meldeten Psychiater in ganz Europa Fälle vom neuartigen „Laufzwang“ beziehungsweise „Laufsucht“. Doch bald geriet der Befund Dromomanie in Vergessenheit. So schnell wie die Krankheit aus dem Nichts aufgetaucht war, verschwand sie wieder.
Aus der Retrospektive ist es schwer, die Geschichte einzuordnen. Im Alter von acht Jahren soll sich der junge Dadas bei einem Sturz von einem Baum schwere Kopfverletzungen zugezogen haben, die möglicherweise eine Impulskontrollstörung und einen zeitweiligen Erinnerungsverlust mit sich brachten. Ein ähnliches Phänomen kennt die moderne Psychiatrie als Poriomanie, die vor allem bei Alzheimer-Patienten zu beobachten ist.
Böse Zungen halten Dadas hingegen schlicht für einen durchtriebenen Schwindler. Denn egal, in welcher Stadt auch immer er aufschlug: Meistens fand er ziemlich schnell einen Konsul, der ihm das Geld für eine Fahrkarte nach Hause gab. Für diese Einschätzung spricht übrigens auch, dass fast alle anderen Dromomanie-Patienten aus armen Arbeiterfamilien stammten. Wie auch immer sich das Verhalten erklären lässt: Zur modernen „Reisesucht“ passt der Prototyp des Reisesüchtigen nur bedingt.
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Die Klassifizierung von Süchten
Um etwas weiter zu kommen, müssen wir uns zunächst darüber klar werden, was eine Sucht genau ist. Im Alltagsverständnis denken wir meistens an chemische Substanzen wie Drogen, Alkohol oder Nikotin, die körperlich abhängig machen können. Erst danach fallen uns auch Verhaltensweisen ein, die oft im Zusammenhang mit Süchten genannt werden: Glücksspiel, exzessiver Sport und Kaufräusche.
Das Online Lexikon für Psychologie spricht bei einer Sucht vom einem „unabweisbaren Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand. Diesem Verlangen werden die Kräfte des Verstandes untergeordnet.“ Süchtige verhalten sich häufig in einer Weise, die ihnen geistig und körperlich Schaden zufügt. Eine Sucht beeinträchtige soziale Bindungen und erschwere oder verunmögliche die Verrichtung des Alltags, heisst es weiter. Neben dem Scheitern, ein bestimmtes Verhalten zu ändern oder aufzugeben, ist vor allem auch das Leugnen von negativen Konsequenzen typisch.
Wenden wir das auf das Reisen und exzessiv Reisende an, zeigt sich, dass nur ein Teil der Bedingungen erfüllt ist. Klar, das starke Verlangen kennt wohl jeder aus eigener Erfahrung. Beim Leugnen der Konsequenzen wird es aber bereits schwieriger. Natürlich bin ich schon Weltreisenden begegnet, die den Klimawandel oder durch den Massentourismus entstandene Probleme leugnen oder die glauben, dass Arbeitgeber in einer mehrjährigen Lücke im Lebenslauf eine „Bereicherung“ sehen. Aber in den meisten Fällen scheint mir gerade bei den Viel- und Langzeitreisenden eine überdurchschnittlich starke Neigung zur Selbstreflexion zu bestehen. Nicht zuletzt ist unter Vielreisenden der Selbstbefund „Reisesüchtig“ ziemlich verbreitet.
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Die Crux mit der Selbstkontrolle
Und wie sieht es mit der Selbstkontrolle aus? Nach Ansicht des amerikanischen Psychiaters Michael Brein, der sich auf die Psychologie des Reisens spezialisiert und mehrere Bücher zum Thema verfasst hat, fehlt bei manchen Menschen tatsächlich eine Impulskontrolle und ihr Reisen gewinnt dadurch den Charakter einer Verhaltenssucht. Eine übermässige Fokussierung auf das Reisen, so Brein, könne Menschen wie jede andere Sucht in Probleme bringen –allem voran kann sie in den finanziellen Ruin treiben.
Damit liegt er ganz auf der Linie der amerikanischen Psychiatrie. Bereits im Jahr 2000 hat das „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“, das dominierende psychiatrische Klassifikationssystem in den USA, Reisesucht in die Liste der anerkannten Krankheiten aufgenommen. Die Definition lautet: Die Patienten haben einen abnormalen Impuls zu reisen. Sie geben Geld über ihre Verhältnisse aus, opfern Jobs, Partner und Sicherheiten für ihre Lust an neuen Erlebnissen.
Die Frage ist freilich, ob hier nicht ein allzu konservatives Verständnis darüber zu Grunde liegt, wie ein gutes Leben auszusehen hat. Wieso soll es ein Problem sein, wenn jemandem Freiheit und Ungebundenheit – zumindest für eine Zeitspanne – wichtiger ist als Karriere und Familie? Spannend ist nämlich, dass es in der deutschsprachigen Psychiatrie, anders als in den USA, eine Reisesucht nicht gibt.
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Was wir vom Corona-Jahr lernen können
Das Corona-Jahr 2020 hat vieles kaputt gemacht. Aber es ist in gewisser Hinsicht auch ein überaus interessantes Jahr. Denn durch die Pandemie ist die Welt zu einem überdimensionierten Labor geworden, in dem sich studieren lässt, wie sich das menschliche Verhalten unter den neuen Bedingungen verändert hat.
Seit März hat der überwiegende Teil der Länder die Grenzen fest geschlossen, stellenweise ist sogar das Reisen innerhalb eines Landes untersagt worden. Fiele es tatsächlich vielen Menschen suchtgleich schwer, auf das Reisen zu verzichten, müssten wir nach einem halben Jahr so etwas wie eine „Beschaffungskriminalität“ sehen. Touristen, die sich nachts über die grüne Grenze schleichen oder sich mit falschen Dokumenten eine Einreise ergaunern. Es müssten Selbsthilfegruppen entstanden sein, die sich gegenseitig bei der Überwindung ihrer Reisesucht helfen.
Meines Wissens ist jedoch nichts davon passiert, zumindest nicht in grossem Rahmen. Auch wenn es vielen schwerfällt, die Füsse stillzuhalten – bisher scheint das einigermassen gut zu klappen. Wenn es eine Reisesucht überhaupt gibt, dann ist sie – wie 2020 einigermassen gut sichtbar geworden ist – allenfalls ein kleines Randphänomen.
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Wieso wir überhaupt reisen
Eine Frage bleibt allerdings: Wenn es keine Sucht ist, was ist es dann, das so viele in die Ferne treibt? Wieso reisen manche Menschen so exzessiv und stellen diese eine Leidenschaft über alle anderen? Der bereits erwähnte US-Psychiater Michael Brein erklärte es vor einiger Zeit in einem Interview mit Condé Nast Traveller folgendermassen: Sich in ungewohnten Situationen zu Recht zu finden, sei der einfachste Weg, um die übergeordneten Level der Maslowschen Bedürfnispyramide zu erreichen.
Seine Theorie: Die meisten Menschen gestalten ihren Alltag möglichst vorhersehbar und stressfrei, um sich die grundlegenden Bedürfnisse nach Sicherheit und Überleben zu erfüllen. Doch diese Routinen verstellen den Weg zum persönlichen Wachstum. Dem Alltagstrott zu entkommen und sich selbst auf die Probe zu stellen, löse eine Art des Rausches aus, so Brein weiter. Das sei deswegen so, weil sich auf diese Weise die in der Pyramide ganz oben stehenden Bedürfnisse nach Selbstverwirklichung befriedigen lassen. Es erklärt aber auch, wieso die wenigsten Menschen dauerhaft reisen: Nach einer Weile verkommt das Unterwegssein nämlich selber zu einer Form der Routine.
Die Wissenschaft hat allerdings noch eine weitere Antwort parat. Sie heisst: DRD4-7R. Das so genannte Reise-Gen, über das etwa 20 Prozent aller Menschen verfügen, soll dafür verantwortlich sein, dass manche lieber reisen als andere. Der Mechanismus dahinter: Das Gen wirkt bei der Regulierung von Dopamin mit. Zusammen mit dem Neurotransmitter Serotonin ist der chemische Botenstoff wichtig für das Belohnungszentrum des Gehirns.
Menschen mit hohen Dopamin-Konzentrationen fühlen sich tendenziell auch in schwierigen Situationen wohl und sind offener für Neues. Kurz: Sie können und wollen mehr Strapazen aushalten, die mit Abenteuern und Reisen einhergehen. Dass dies nicht bloss graue Theorie ist, zeigte bereits vor über 20 Jahren eine Studie der Universität von Kalifornien. In ihr konnte nachgewiesen werden, dass bei Angehörigen der untersuchten nomadisch lebenden Kulturen die Gen-Variante häufiger vorkommt als bei Menschen in sesshaften Kulturen. Seither haben weitere Forschungen diesen Befund bestätigt.
Und vielleicht ist auch ein bisschen von dem wahr, was Reisemuffel den Weltentdeckern so gerne vorwerfen: Es gehe nur darum, mit möglichst vielen Erlebnissen auf Social Media zu prahlen. Denn hier schliesst sich der Kreis: Soziale Anerkennung führt nämlich zur Ausschüttung der gleichen Glückshormone wie die Befriedigung der Bedürfnisse nach Selberverwirklichung und es sind die gleichen Botenstoffe, die bei Menschen, die über das „Reise-Gen“ verfügen, sowieso rege ausgeschüttet werden.
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Interessanter Post, lieber Oliver! Ich finde mich in vielem wieder und denke schon, das Reisen ein Stück weit süchtig macht. Ich glaube allerdings auch an dieses Reisegen, das mir scheinbar in die Wiege gelegt wurde. Meinem Bruder aber z.B. nicht. Was mir dieses Jahr an mir auf jeden Fall auffällt ist, das ich nicht unbedingt um die halbe Welt reisen muß. Mein Nomadentum und Entdeckungsdrang wird auch schon befriedigt, wenn ich nur durch Deutschland reise oder ins Nachbarland fahre. Hauptsache neuer Input. Wovon ich mich allerdings total distanziere ist, auf Social Media zu prahlen. Denn ich bin auch schon 2 Jahre um die Welt gereist, als es noch gar kein Social Media gab und ich mich nicht damit brüsten konnte. In der Tat habe ich bei vielen Menschen jedoch den Eindruck, dass es nur um Likes geht und Länder konsumiert und abgehakt werden. Und das ist definitiv ein Phänomen der digitalen Welt. LG, Nadine
Hi Nadine,
schön, dass du das ähnlich empfindest. Ich hatte mich ja so ein bisschen vor dem Lockdown gefürchtet, stelle inzwischen aber etwas erstaunt fest, dass ich einigermassen gut damit zurecht komme. Zu Social Media: Ich denke, dass das mit dem Prahlen keine urspüngliche Motivation zum Reisen ist, sondern eher eine Art Begleiterscheinung. Schliesslich kann man ja auch viele Likes für einen hübschen Schokoladekuchen oder einen gut geformnten Waschbrettbauch bekommen.
Reisesucht sehe ich am ehesten bei den krassen Ländersammler, die um den Titel „der am weitesten gereiste Mensch der Welt“ ringen. Für die das Reisen also in erster Linie einen sportlichen Faktor hat. Aber andrerseits: Was ist daran anders, als wenn sich jemand in den Kopf setzt, einen Marathon zu laufen. So ein hartes Training ist ja vermutlich auch nicht gesund und schadet wohl den sozialen Kontakten.
Liebe Grüsse,
Oliver
Liebe Nadine, der Artikel von Oliver ist hochinteressant und gibt sicherlich das Gefühl einiger wider. Doch zu einem Kommentar reizt mich vor allem Dein Kommentar. Ich bin auch schon lange vor Instagram und Co. gereist. Aber auch ohne SocialMedia konnte man mit den besuchten Ländern und erlebten Abenteuern angeben! Dazu gab es schon vor 30 oder 40 Jahren Globetrotter-Stammtische und auch einen Freundeskreis. Nicht ganz ohne Grundlage habe ich während meiner Ausbildung zur Reiseverkehrskauffrau in den 1970er Jahren gelernt, dass wir nicht einfach Reisen verkaufen, sondern Möglichkeiten für den Reisenden, Status und Prestige zu erlangen.
Nochmal zum Thema „reisesüchtig“: Ich bin schon als Kind viel gereist, konnte mir lange gar kein Jahr vorstellen, in dem ich mal nicht unterwegs war. Andererseits habe ich mich immer schon gefragt, warum die Ferne interessanter sein soll als die eigene Heimat. Ich versuche schon lange, Ausflüge und Sehenswürdigkeiten und auch so alltägliche Dinge wie Busfahren zuhause mit den Augen eines Reisenden/Touristen zu sehen, und entdecke immer Neues und Spannendes, ganz ohne weit zu reisen. Ich bin eigentlich ständig unterwegs auf Reisen., auch vor der eigenen Haustür.
Alles Gute
Ulrike
Da hast Du ja mal sehr interessante Infos zusammengesucht. Danke für den Beitrag! Am besten hat mir der „geistesgestörte Reisende“ und die „Beschaffungskriminalität“ gefallen :-) Ich selber würde mich auch als ein bisschen reisesüchtig beschreiben, und mir setzt das Corona-Jahr wirklich zu. Ich habe zwar aufgrund der Situation derzeit keinen Drang zu reisen, vermisse es aber sehr arg. Vor allem, da man derzeit ja nicht mal etwas planen kann. Bisher war es immer so, dass es ein Reiseziel gab, auf das ich mich schon mal freuen konnte. Nun gibt es nicht mal das – und diese fehlende Perspektive finde ich besonders traurig.
Naja, in diesem Jahr hast du doch auch etwas, auf das du dich freuen kannst: Die Impfung! :)
Bei dem mit dem Planen bin ich vollkommen mit dir einverstanden. Das finde auch ich das Frustrierendste, dass die Regeln alle paar Tage ändern. Das ist irgendwie nicht wirklich gut gelöst.
Lieber Oliver, cooles Thema, super aufbereitet. Die Füße stillhalten, das fällt uns persönlich allerdings schwer. Mit Vernunft, Respekt und dem nötigen Abstand konnten wir aber auch in den letzten Monaten unsere „Sucht“ ganz gut befriedigen. Ohne Marathons und ohne Ländersammlerei. Auf viele (Nah-)Ziele wären wir ohne Corona gar nicht gekommen. Haben als (Wahl-)Berliner beispielsweise viele neue Ecken Brandenburgs kennen gelernt. Doch die Sehnsucht nach der Ferne bleibt. Viele Grüße, bleib gesund, Gabi und Michael
Hallo Gabi,
ich denke, es geht gerade vielen so, dass sie ihre eigene Region entdecken. Als Stundent sagte ich mir immer: Die Schweiz kann ich mir anschauen, wenn ich mal alt bin. So richtig alt bin ich zwar noch nicht, aber ein bisschen froh bin ich schon, dass es in der Umgebung genügend Orte gibt, die ich noch nicht kenne. Diese Konzentration auf die Nähe finde ich grundsätzlich ein positiver Aspekt dieser ganzen Mistzeit.
Gruss,
Oli
Sehr spannender Artikel. Ich gebe zu, ich fand Formulierungen wie „reisesüchtig“ oder „das Reise-Gen“ oder noch schlimmer „Reisevirus“ immer super albern und etwa auf dem Niveau von „Perlen“ in Bezug auf hübsche Orte: abgeschmackte, romantisierende Begriffe.
Aber in Deinem Artikel gibt es viele spannende Aspekte, über die ich noch nie nachgedacht habe, gerade das mit dem erhöhten Dopamin würde tatsächlich die verschiedenen Charaktere erklären, die einen, die zb immer ins gleiche Ferienhaus fahren, die anderen, die lieber mit Zelt auf dem Rücken durch möglichst fremde Länder reisen. Ich zähle mich da definitiv zu Letzteren, auch wenn mir der Alltag leider immer wieder dazwischen kommt. :)
Hallo Inka,
das mit dem „Reise-Gen“ finde ich auch total spannend. Vor allem hat mich daran auch etwas anderes überzeugt: Selbstverständlich bevorzuge ich einen S-Klasse Mercedes oder ein sauberes Bett gegenüber einem TATA-Bus oder einer dreckigen Absteige mit Bettwanzen. Das ist ganz einfach objektiv komfortabler. Aber im Vergleich zu anderen, mit denen ich schon unterwegs war, habe ich an mir selber immer wieder festgestellt, dass mir diese kleinen Widerlichkeiten beim Reisen weniger ausmachen.
Es könnte also tatsächlich so sein, dass ich gewissermassen aus genetischen Gründen eher Spass an etwas finde, zu dem solche eher unangenehme Aspekte einfach dazu gehören. Ich fände es super spannend, bei einem Gentest herauszufinden, ob ich das Reise-Gen wirklich habe oder ob ich mir das beim Schreiben einfach eingebildet habe.
Gruss,
Oli
Lieber Oliver,
bei diesem Titel musste ich natürlich in Deinen Beitrag reinlesen. Mir wird nachgesagt, dass ich schwer reisesüchtig bin. Und das schon als Kind. Ich habe ganz sicher das Reise-Gen! Ein wirklich genialer Beitrag – hast Du einen psychologischen Background?
Viele Grüße von Sanne, die total auf Kanada-Entzug ist :-)
Hallo Sanne,
nein, ich habe Geschichte und Philosophie studiert. Das alles hat also überhaupt keinen wissenschaftlichen Anspruch. Mich faszinieren solche Themen allerdings schon lange – und jetzt, wo so wenig Zeit mit Reisen draufgeht, habe ich viel mehr Zeit, mich in solche Sachen einzulesen… :)
Gruss,
Oli
Ein toller Beitrag Oliver. Bei uns ist der Reisedrang auch sehr stark ausgeprägt. Es fing damals mit All-in und Städtetrips an. Mittlerweile lieben wir es individuell und spontan zu reisen. Dabei muss es nicht immer in die Ferne gehen. Zur jetztigen Zeit kann man viel im eigenen Land erkunden, wobei wir schon immer gerne in andere Länder reisen. Da ist ja ein ganz normaler Einkauf schon ein Erlebnis. Es gibt so viele andere Produkte und Gewohnheiten. Hoffen wir das es bald wieder möglich ist 😊
Liebe Grüße, Melo & Marc
Sehr interessanter Beitrag, Oliver. Und ich teile auch die Ansicht von Nadine (Kommentar weiter oben), daß Social Media inzwischen zu wilde Auswüchsne beim Reisen führt. Als Beispiel nenne ich nur mal Halstadt in Österreich, ein kleines Nest am See, was vor Instagram ein verschlafenes Dasein führte und inzwischen von Selfisüchtigen Reisenden überrannt wird. Insofern stellt sich fast die Frage, ob das „Reisen“ an sich einen süchtig macht oder eben das „Berichten über die Reise“. Hier hat sich der Fokus meiner Meinung nach in den letzten Jahren deutlich verlagert. Zumindest bei einigen von uns.
Hallo Christine,
ich denke, dass man das etwas differenzierter anschauen sollte. Das zeigt sich ja gerade sehr deutlich bei Hallstatt. Der Boom wurde genau nicht durch Social Media ausgelöst, sondern dadurch, dass das Dorf der Schauplatz einer in Asien sehr erfolgreichen Fernsehserie war und dass das Dorf in China komplett nachgebaut wurde, worüber die traditionellen Medien weltweit ziemlich exzess berichtet haben.
Darüber hinaus finde ich die Ferndiagnose „Selfiesüchtige“ etwas problematisch. Denn erstens stellt sich die Frage, worin denn genau der Suchtaspekt bestehen soll, wenn jemand nicht einfach ein unpersönliches Foto will, sondern eben eines, auf dem er oder sie auch zu sehen ist. Für mich gehört das irgendwo in den Bereich zwischen persönlichen Präferenzen und kulturellen Unterschieden. Zweitens wäre es ja weder das Selfie noch Social Media, was süchtig macht, sondern der „Kick“ durch die soziale Anerkennung.
Dass das Berichten über das Reisen ein wichtiger Teil des Reisens ist, scheint mir nichts Neues zu sein. Ich denke, was heute wirklich anders ist: Der Zugang zur Öffentlichkeit wurde sehr viel demokratischer. Potentiell jeder hat die Möglichkeit, ein Millionenpublikum zu erreichen. Das finde ich – trotz der einen oder anderen Fehlentwicklung – im Grundsatz eine positive Entwicklung.
Gruss,
Oli
Lieber Oliver, ein interessanter Beitrag. Was mich betrifft, so fühle ich mich nicht reisesüchtig, jedoch habe ich Sehnsucht nach anderen Orten, obwohl ich in einer der schönsten Städte der Welt lebe. Oft denke ich mir, das hat mit meiner Krankengeschichte zu tun, ich war mehr als ein Jahr immobil und viele Wochen sogar ans Bett gefesselt. Ein Grund, warum ich gerne unterwegs bin. Lebe Grüße, Claudia
Hallo Claudia,
das kann ich gut nachvollziehen: Reisen als eine Art Feier der wiedergewonnenen Gesundheit. Ich frage mich in dem Zusammenhang auch, wie das nach Corona sein wird. Wie werden die Menschen nach der erzwungenen Immobilität (natürlich nicht so heftig wie bei dir, aber dennoch einschneidend) reagieren? Werden sie den Reiz des Nahen erkennen oder werden sie mit einem noch stärkeren Fernreisedrang so etwas wie überkompensieren? Ich bin jedenfalls gespannt.
Gruss,
Oliver
Hi Oli,
Anfangs war ich auch sehr mitgenommen wegen der Reisebeschränkungen aber im Nachhinein war es nicht so schlimm. Mit Jobwechsel, Führerschein und Studium hatte und habe ich genug zu tun. Allerdings muss ich sagen dass ich unglaublich froh sein werde wenn ich wieder Reisen kann.
Auch habe ich festgestellt dass mich die meisten Einschränkungen kaum getroffen haben. Nur das Maske tragen nervt. Ich sehe die Situation eher aus einem historischen Kontext. Hochkulturen und große Reiche sind nach ihrem Höhepunkt zusammengebrochen. Seien es die Römer Perser oder sonst wer. Unsere Gesellschaft ist an dieser Pandemie gescheitert.
Das musst du mir jetzt etwas erklären. Wieso soll unsere Gesellschaft an der Pandemie gescheitert sein? Und welche Gesellschaft meinst du denn? Die freiheitlich-demokratische im Gegensatz zur autoritären wie in China?
Ich finde im Gegenteil, dass die Pandemie genau die Stärken unserer Gesellschaft zeigt. Es zeigt sich, dass eine grosse Solidarität unter den Menschen auch ohne drakonische Strafen möglich ist. Es zeigt sich aber auch, dass es in freiheitlich-demokratischen Gesellschaften eine Balance braucht zwischen dem epidemolisch Sinnvollen und den Freiheitsbedürfnissen der Menschen.
Deswegen finde ich auch, dass die ganzen Querdenker-Demos kein Zeichen eines gesellschaftlichen Zerfalls sind, sondern vielmehr ein Zeichen dafür, dass die Pluralität unserer Gesellschaft nach wie vor gegeben ist. Dazu gehört meiner Meinung auch, Unsinn zu glauben.
Gruss,
Oli
Wo gab es in dieser Pandemie denn Solidarität?
Es gab Massenpartys, Sauftourismus, es wurden Leute angehustet und bespuckt. Geh doch mal durch die Fußgängerzone wie viele Leute ohne Maske unterwegs sind oder keinen Abstand halten. Wegen solchen Asozialen haben wir jetzt diese extremen Infektionszahlen. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln kann man ja wegen denen auch nicht mehr fahren.
Leider zeigt uns China wie es richtig geht. Ist nur die Frage ob man glauben sollte dass die Zahlen in China so niedrig sind.
Die Frage ist doch, in welcher Gesellschaft wir leben wollen. Wollen wir einen Überwachungstaat, der jede unserer Bewegungen lückenlos aufzeichnet und uns dafür bestraft, wenn wir nicht mit jeder politischen Entscheidung einverstanden sind? Wollen wir einen Staat, der uns vorschreibt, was wir denken dürfen, indem er uns von alternativen Meinungen abschirmt – unabhängig davon, ob sie richtig oder vollkommen abstrus sind? Wollen wir jede kleinste normative Abweichung mit strengsten Strafen ahnden und Umerziehungslager errichten wie es sie in Xinjiang gibt. Denn das ist China. Und über eines sollten wir uns klar sein: Es ist genau diese Form der Diktatur, die es braucht, um die Zahlen so zu drücken wie es in China geschehen ist. Wo Leute in ihre Häuser eingemauert wurden, wo man bis heute nicht einmal einen Snack auf der Strasse essen kann, ohne persönliche Daten an eine Zentraldatenbank zu geben. Nur wenn wir bereit sind, ein solches System zu tolerieren, dann können wir wirklich finden, dass China in dieser Pandemie ein Vorbild ist. Für mich ist das aber keine Vision für unsere Zukunft, sondern mein grösster Albtraum.
Natürlich besteht eine große Bedrohung für unsere demokratischen Werte und unsere Freiheiten. In anderen Ländern wird Corona genau dazu genutzt zb. in Hongkong. Leider funktioniert es in Europa aber nicht. Mit nur ein wenig Rücksicht und gesundem Menschenverstand hätten wir die zweite Welle nicht. Während einer Pandemie auf eine Massenpaty oder Hochzeit zu gehen und dann Montags ins Büro ist Mord. Mord sollte mit lebenslanger Freiheitsstrafe geahndet werden und die wirtschaftlichen Schäden müssten diese Asozialen auch selbst zahlen. Findest du nicht dass unsere Gesellschaft immer aggressiver und selbstsüchtiger wird? Das zeigt sich doch gerade jetzt. Leute die Masken verweigern, keinen Abstand einhalten, trotz Coronainfektion Quarantäne brechen und andere anstecken. Oder in Hochzeiten der Flüchtlingskrise. Steigender Rassismus weltweit, Trump Erdogan usw. Ich sehe da große Parallelen zu der Geschichte der alten Hochkulturen die einfach zusammengefallen sind.
Wirklich sehr interessant der Artikel. Eigentlich habe ich darauf schon geschrieben, es gibt sicher eine „Reisesucht“, es kommt aber darauf an wie sie ausgelebt wird und es kommt auf das Alter des Reisenden an. In jüngeren Jahren waren wir auch Reise süchtig, natürlich nicht so ausgiebig wie Sie das machen, aber etwas Europa, darunter 20 Jahre Dänemark (wie lieben Dänemark einfach, Schweden, Polen, Tschechien, Niederlande, Schweiz, Portugal und mehrere Reisen nach USA und vorallem Canada (das ist das zweite Land das wir lieben). Aber damit wars das auch und wie schon geschildert, viele Landschaften kann man in Europa finden, die ähnlich sind den Gegenden die weit entfernt sind. Uns hat Corona gelehrt, wir bleiben inzwischen auch gern in unserem Land, mit der wunderschönen Ostsee, dem traumhaften Haff und vielem mehr. Wir reduzieren unser Reisen und werden wohl keine Fernreisen mehr machen. Fahren wir nach Norwegen ist das ähnlich wie in Canada usw., wir waren selbst erstaunt das sich das so verloren hat, aber bei uns ist das nicht mehr vordergründig.