Quer durch China: Ein Jahr lang zu Fuss unterwegs
Christoph Rehage (31) verließ sich bei seiner China-Durchwanderung ein Jahr lang ausschließlich auf die Kraft der Beine. Das Resultat: 4646 zurückgelegte Kilometer, zahlreiche Abenteuer und seit kurzem auch ein Buch über die außergewöhnliche Reise. Wir haben uns mit dem deutschen Autor über die langsamste Art der Fortbewegung unterhalten.
WRM: Christoph, Du bist vor fünf Jahren in Peking losmarschiert, Richtung Deutschland. Auf halbem Weg hast du die Reise abgebrochen. Nun sind ein Buch und ein Bildband zur Reise erschienen. Dürfen wir jetzt auf den zweite Teil deiner Reise hoffen?
Christoph Rehage: Ich habe schon heimlich Sehnsucht danach. Ich war ja vor zwei Jahren noch einmal da, und dieses Jahr wieder, jeweils für einen Monat. Aber ich weiß nicht, ob ich wirklich noch einmal Gelegenheit haben werde, so lange ununterbrochen unterwegs zu sein um die Seidenstraße weiter zu laufen, Samarkand zu sehen und Istanbul. Mal gucken, wie sich die Dinge entwickeln. Die Kabutze, mein weißer Handkarren, steht jedenfalls an der Grenze von China und Kasachstan und wartet dort auch mich.
Wieso hast du das Unternehmen eigentlich abgebrochen? Im Buch tönst du Probleme mit den chinesischen Behörden an.
Nein, mit den Behörden hatte das damals nichts zu tun. Die beschriebene Episode am Anfang meines Buches spielte sich im Sommer 2010 ab, als noch einmal für einen Monat in die Gegend reiste. Sagen wir es mal so: Als ich im Herbst 2008 in Xinjiang unterwegs war, in der Wüste Gobi, nach fast einem Jahr unterwegs, kam ich plötzlich und ohne es selbst zu wollen an den Punkt, an dem ich entscheiden musste, was das Wichtigste in meinem Leben sein sollte. Das Laufen? Der Bart? Oder gar doch etwas anderes?
Hand aufs Herz: Hast du unterwegs kein einziges Mal das Taxi oder einen Bus genommen?
Nein, die Strecke ist komplett gelaufen. Es gab zwischendurch eine Episode der Gefahr, in der ich für ein paar Minuten flexibel sein musste. Ich weiß aber nicht, wie das im Nachhinein „zählt“. Mein Bruder hatte mich ein paar Wochen lang mit einem Dreirad begleitet. Einmal ist er in einem Sandsturm sandblind geworden und ich musste ihn schieben. Der Sturm war aber so stark und die Bremsen des Dreirades so schlecht, dass wir einen Abhang hinuntergerollt sind, und ich nicht bremsen konnte. Dann musste ich aufspringen, um wenigstens lenken zu können. Das ging so, bis wir den Abhang hinter uns hatten.
Wieso eigentlich zu Fuß? Was sind die Vorteile dieser Art des Fortbewegens?
Wenn ich zu Fuß bin, bin ich langsam genug, um die Veränderungen der Landschaft und der Leute zu sehen, um mich von einem Ort zu verabschieden und bei einem anderen anzukommen. Außerdem bin ich darauf angewiesen, dass mir Menschen helfen, indem sie mich zum Beispiel bei sich aufnehmen oder sich einfach nur mit mir unterhalten und mir sagen, wie es auf meinem weiteren Weg aussieht. Das ist ein schönes Gefühl. Vielen Leuten macht es Spaß, anderen Menschen helfen zu können. Und das können sie ja nicht, wenn man an ihnen vorbeirast und sie nicht braucht.
Bevor du dich auf den Weg gemacht hast, hast du eine Weile in Peking die Sprache gelernt. War das chinesische Landleben trotzdem ein Art Kulturschock für dich? Wie hast du das Leben dort erlebt?
Nein, das Landleben war kein Kulturschock. Natürlich war es nicht so bequem wie Peking, bei Weitem nicht. Aber das, was mir am meisten aufgefallen ist, war die Freundlichkeit und Ehrlichkeit der Leute auf dem Land: Ich komme als müder Wanderer an, und sofort bekomme ich interessierte Fragen zu hören und lächelnde Gesichter zu sehen. Was könnte schöner sein?
Wie haben es die Menschen dort aufgenommen, dass ein reicher Ausländer zu Fuß unterwegs ist?
Das war oft Anlass zu wilden Spekulationen, oft auch zu Humor. Hatte ich den Bus nicht gefunden? War ich eine Art Forrest Gump? Hatte ich mir etwas besonderes dabei gedacht, durch Gegenden zu laufen, die den Leuten, die dort wohnten, als ebenso „langweilig“ vorkamen wie mir vielleicht mein eigenes Zuhause?
Was hast du unterwegs über China gelernt? Was über dich selber?
Ich habe gelernt, dass China weitaus vielschichtiger und an allen Ecken unterschiedlicher ist, als ich vielleicht mal gedacht hatte. Über mich selbst habe ich gelernt, dass ich nicht ruhiger geworden bin durch das Laufen – auch wenn das vielleicht eine klammheimliche Hoffnung von mir gewesen war.
Wie bereitet man eigentlich eine solche Expedition vor?
Ich habe deutsche Botschaften in den einzelnen Ländern angeschrieben und sie einfach mal gefragt, was sie davon halten, wenn ich beispielsweise durch Kasachstan laufen würde. Ich habe Bücher gelesen und wild Emails verschickt, auch an Peter Scholl-Latour, denn der weiß ja alles. Er hat sich aber nicht gemeldet. Dann habe ich versucht, mich über Outdoor-equipment schlau zu machen. Die Routen habe ich grob nach Ländern festgelegt, mit der Option auf Flexibilität, weil die Zeit einfach so lange sein würde, dass sich nicht alles konkret planen ließ. Dann bin ich in Abschnitten von ein paar Hundert Kilometern gegangen, die ich jeweils genauer geplant habe, um zu wissen, wo Essen, Wohnung und interessante Dinge zu finden sein würden. Ich würde nichts anders machen, aber ich würde versuchen, nicht mehr so stur zu sein wie früher.
Wie konntest du dich nach einem Jahr Langsamkeit wieder im normalen, modernen Leben zu Recht finden?
Das war noch nie ein Problem. Ich habe immer erwartet, dass alles ganz anders sein würde nach einer großen Reise. So war es aber für mich nie. Die Welt schien stehengeblieben zu sein, ich kam wieder, und alle sagten nur „Ah, da ist er wieder.“ Und da war ich wieder.
und hier noch das grandiose Video: https://vimeo.com/4636202
Triumph der Langsamkeit!
4646 Kilometer ist schon eine Leistung und auch sich erst einmal für ein ganzes Jahr komplett von allen zu verabschieden!