Per Schiff durch Okinawas Inselwelt

Mit wunderschönen Sandstränden, wilden Klippen und seiner Ferne zur Tokioter Hektik ist die Inselwelt Okinawas der ideale Ort um traditionelle Werte und Behaglichkeit zu finden. In Deutschland wird das subtropische Inselreich als Reiseziel erst langsam bekannt. Für Japaner ist der Ort längst ein fester Bestandteil der Urlaubsroute.

Das Boot steht im Hafen von Fukuoka und wartet darauf, fertig beladen zu werden. Mayu Sato bindet ihre beiden Hunde an der Reling der „Wakamatsu Okinawa“ fest. Ihr Ziel ist Iriomote – eine kleine Insel vor der Küste Taiwans, die für ihre Wildnis bekannt ist. In diesem Aussenposten der Zivilisation will sie mit fünfzehn Männer und Frauen dem japanischen Alltag entfliehen. Ganze vier Monate möchten sie im Urwald leben, sich eigene Hütten bauen und vom Fischfang leben, erzählt die Japanerin im Bob Marley Shirt. Ihre Reisegefährten nicken.

Ein Deck höher steht Miyuki Deguchi. Auch für sie ist die Fahrt mit der Fähre ein erster Schritt in ein neues Leben. Mindestens ein halbes Jahr will die junge Frau, die bis vor kurzem für eine grössere Tageszeitung in Kobe gearbeitet hat, auf der benachbarten Tropeninsel Ishigaki verweilen. Obwohl ihr Job sehr spannend gewesen sei, habe sie völlig ausgebrannt aufhören müssen. Miyuki ist vor ein paar Tagen 31 Jahre alt geworden. Nun sucht sie wieder ihre Lebensfreude. Gefunden hat sie jedoch bei ihrer letzten Reise in den japanischen Süden etwas anderes: ihren Traumprinzen. Die Liebe sei in Okinawa einfach tiefer, erklärt sie und spricht dabei tausenden Paaren aus der Seele, die mit einer Reise in den Süden versuchen, ihre Beziehung wieder unter den Hut zu bekommen.

Doch die azurblaue Inselwelt von Okinawa ist nicht nur der Ort für liebeshungrige Aussteiger aus japanischen Grossstädten, sondern lockt mit preiswerten Unterkünften auch japanische Langzeiturlauber. So zum Beispiel den 53-jährigen Takaaki Aoyama. Er hat vor einem Jahr seine Stelle als Sportlehrer in einem Gymnasium in Tokyo verloren und kaum Aussichten einen neuen Job zu finden. Nun versucht er in dieser günstigeren Region mit seinen Ersparnissen und kleinen Nebenjobs als Tauchlehrer die nächste Jahre bis zu seiner Pension zu überbrücken. Wenn alles gut geht, will Aoyama nie mehr nach Tokyo zurückkehren und auf der Insel alt werden.

Die Insel der Alten

Und in der Tat: die Inselwelt von Okinawa ist ein hervorragender Ort, um alt zu werden. Das beweist schon alleine die Statistik. Trotz wirtschaftlicher Schwäche und struktureller Rückständigkeit, ist in keiner japanischen Provinz die Lebenserwartung höher und an keinem anderen Ort der Welt gibt es mehr überhundertjährige. Vor rund einem Jahr ging mit dem Beispiel des kleinen Dorfes Ogimi die Horrorvision der deutschen Sozialversicherung durch die Medien. Von seinen 3500 Einwohnern waren damals zwölf Personen bereits hundert Jahre alt oder mehr. In anderen Dörfern lässt sich eine ähnliche Alterstruktur finden.

Der Grund für diese statistische Anomalie war lange rätselhaft. Doch inzwischen glaubt ihn die Wissenschaft in dem ausgewogenen und gesunden Essen gefunden zu haben. Auf dem Speisezettel der Insulaner stehen nämlich vorwiegend Fische, Früchte und gebratenes Gemüse. Darunter auch die gewöhnungsbedürftige Goya Champuru, eine bittere, warzige Gurke, die noch heute in vielen Restaurants als Nebenspeise serviert wird.

So zum Beispiel auch im „Naha-Soba“, im kleinen Nudelshop von Herrn Ogawa im Zentrum von Naha, der ersten Station der Schiffsreise. Herr Ogawa ist 75 Jahre alt und weiss viel von der bewegten Geschichte der subtropischen Inselgruppe zu erzählen: „Okinawa ist ein Ort der Invasionen“, erklärt der alte Mann, der im Krieg seine beiden Brüder verloren hat. „Zuerst die Chinesen, dann die Japaner und nun die Amerikaner!“

Spaziergang am Strand. Ishigaki.
Spaziergang am Strand. Ishigaki.

Zankapfel der Mächte

Tatsächlich hatte Tokyo erst während der Regierungszeit des Reformkaiser Meijis die Herrschaft übernommen und das vormalige Königreich Ryukyu 1879 als neue Provinz Okinawa in den japanischen Staat eingegliedert. Die nächste Invasion sollte allerdings nicht lange auf sich warten lassen: im Zweiten Weltkrieg war Okinawa Schauplatz verbitterter Kämpfe zwischen den amerikanischen und den japanischen Truppen.

Davon zeugen im Süden Nahas viele Gedenktafeln und eine unterirdischen Bunkeranlage der japanischen Marine. In ihren engen Gängen hatte damals die unterlegene japanische Armee kollektiven Selbstmord begangen. Die Beschädigungen durch die Handgranatensplitter und die letzten Worte des Kommendanten lassen sich noch heute an den Wänden sehen. Dieses traurige Ereignis hat die Beziehungen zu Tokyo nachhaltig beeinträchtigt.

Viele Okinawaer behaupten, dass die sinnlosen Massaker hätten vermieden werden können, zumal sie die japanische Kapitulation nicht verhinderten, sondern höchstens verzögerten. Doch mittlerweile wird das Verhältnis zur Hauptstadt noch durch einen weiteren Umstand getrübt: als die Vereinigten Staaten einige Jahre nach dem Krieg Okinawa an Japan zurückgaben, handelten sie sich einen Militärstützpunkt aus.

Dieser Stützpunkt ist mittlerweile einer der wichtigsten und grössten logistischen Zentren der US-Army im ostasiatischen Raum geworden. Was von amerikanischer Seite als Schutz des Landes verkauft wird, nehmen jedoch viele Okinawaer als Besatzung wahr und fordern von Tokyo deren Abzug. Im Dezember 1996 wurde schliesslich zwischen den USA und Japan eine Vereinbarung unterzeichnet, in der bis zum Jahr 2008 die Rückgabe mehrerer amerikanischer Stützpunkte auf Okinawa festgelegt wird. Doch damit sind die Gegner des amerikanischen Schutes noch nicht zufrieden…

Warenumschlagsplatz

Die „Wakamatsu Okinawa“ hält nur wenige Stunden in Naha, um Waren ein- und auszuladen. Der Grossteil der Gäste bleibt auf der Fähre, um weiter zu fahren, entweder nach Taiwan oder – nur wenige Kilometer davor – nach Ishigaki, dem letzten Aussenposten Japans und der nächsten Station der Reise.

Die Stadt Ishigaki selber hat dem Besucher wenig zu bieten und dient den meisten Besuchern daher auch nur als Ausgangspunkt für Ausflüge in die Umgebung, zum Beispiel zum Korallenriff im Norden der kleinen Insel, das gemäss der Touristenpamphlete den Vergleich mit anderen Riffen nicht zu scheuen braucht. Im Kabira Bay kommen auch diejenigen auf ihre Kosten, die sich im Wasser nicht wohl fühlen: hier bieten Boote mit Glasboden Ausflüge für Nichtschwimmer an.

Einst bestand die Stadt Ishigaki aus traditionellen Holzhäusern mit den typischen Okinawa-Ziegeldächern. Doch wird die alte Bauart auch in diesem Teil der Welt langsam von moderneren Betongebilden verdrängt. Immerhin scheint Ishigaki an einem Gefahrenknoten zu liegen: nicht nur wird die Insel im Sommer regelmässig von Taifunen heimgesucht, sondern die Insel soll auch das Opfer des Meiwa-Otsunami, dem bisher grössten bekannten Tsunamis gewesen sein. Angeblich hat dieser Mega-tsunami damals mit fast zehntausend Todesopfern beinahe die ganze Bevölkerung ausgelöscht.

Im Südosten der Insel erinnert noch immer ein grosser Felsbrocken an das traurige Ereignis: er war von der Wucht der Welle mehrere hundert Meter ins Land hineingeschleudert worden. Zur Höhe dieser Flutwelle finden sich irrwitzige Angaben: von einer bis zu 85m hohen Wasserwand ist die Rede. Allerdings konnten japanische Wissenschaftler mittlerweile nachweisen, dass diese Zahl weniger den realen Verhältnissen als vielmehr den finanziellen Bedürfnissen der lokalen Bauindustrie entspricht, die Wellenbrecher im Strand installieren möchte – so zumindest ein Enthüllungsbericht im japanischen Lokalfernsehen am Abend nach der Ankunft.

Bizarre Felsformationen am Strand.
Bizarre Felsformationen am Strand.

Ishigakis kleine Schwesterinsel

Von der Katastrophe verschont blieb einzig die kleine vorgelagerte Insel Taketomi. Ihr wörtlicher Name bedeutet „Bambusreichtum“, doch liegt der wahrere Reiz der unter Schutz gestellten Insel darin, dass das kleine Dorf in ihrem Zentrum weitgehend im ursprünglichen Zustand belassen wurde. So gibt das kleine Eiland noch heute ein beredtes Zeugnis davon ab, wie die Menschen seit jeher auf den Yaeyama-Inseln leben. Taketomi ist mit seinen Steinhäusern und seinen Ochsenkarren, die durch die Strassen aus Korallensand fahren, das beliebteste Ausflugsziel für Tagestrips von Ishigaki.

Westliche Touristen sehen die subtropischen Inseln mit den feinsandigen Stränden selten. Wenn Westler hierher kommen, dann seien es meistens Leute, die sich sehr für Japan interessieren und zum Beispiel mit einem Japaner oder einer Japanerin verheiratet seien, erklärt Herr Fukumoto, der vor fünfzig Jahren mit seinen Eltern aus dem nahe gelegenen Taiwan hierher geflüchtet ist und nun ein kleines Guesthouse am Stadtrand von Ishigaki besitzt.

Fukumoto weiss auch gleich mehrere Gründe, wieso das so ist: zum einen liege die Insel etwas abseits von den wichtigen Verkehrsrouten, andrerseits schrecken auch die hohen Preise in Japan die meisten Touristen davor ab, „mehr als die obligate Tokyo-Kyoto-Tour zu unternehmen“. Thailand sei eben auch schön und koste nur einen Bruchteil, räsoniert Fukumoto. Doch seit ein paar Jahren sei der Yen am fallen und dadurch sei Japan vor allem für Ausländer erschwinglicher geworden. Auf die Besuchszahlen hat das allerdings noch kaum einen Einfluss. Vielleicht aber auf die Behaglichkeit, welche die Besucher der Inseln suchen – und noch finden.

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