Praxis-Interview: Einmal quer durch China, bitte!

Endlose Strecken: Die staubigen Straßen von Westchina sind für Melanie Kade ein täglicher Anblick. Foto: ZVG
Endlose Strecken: Die staubigen Straßen von Westchina sind für Melanie Kade ein täglicher Anblick. Foto: ZVG

Melanie Kade (29) radelt mit ihrem Mann Sebastian (30) von Xinjiang nach Hainan einmal quer durch China. Im Interview des Monats erzählt sie, wie sich Westchina im Winter anfühlt und gibt möglichen Nachahmern praktische Tipps.

Weltreisemagazin: Ihr reist auf dem Fahrrad durch den berüchtigt kalten Winter von Westchina. Darf ich euch beide gleich einmal für verrückt erklären?

Melanie Kade: Ja, vielleicht sind wir tatsächlich ein bisschen verrückt. Das gehört wohl bei so einem Projekt einfach dazu. Die tiefsten Temperaturen hatten wir übrigens bei der Einreise nach China auf dem Irkeshtam-Pass: minus 30 Grad bei strahlendem Sonnenschein. Zum Glück waren das aber nur drei Kilometer, die wir zwischen der Grenze von Kirgistan und China zurücklegen mussten. Meistens ist es nicht ganz so kalt. Trotzdem ist eine solche Reise im Winter oft schwer zu planen. Alleine letzte Woche wurden wir gleich von drei heftigen Schneestürmen in den Bergen überrascht.

Das klingt nicht gerade attraktiv. Was sind denn die Vorteile eines Chinatrips im Winter?

Sobald sich der Schneesturm gelegt hat und die Sonne am Morgen auf das Zelt scheint, verschlägt uns der Ausblick ganz einfach den Atem verschlägt. Gerade die Wüste oder das tibetische Hochplateau sind mit einer frischen Schneeschicht überzogen einfach wunderschön. Außerdem gibt es im Winter kaum andere Touristen. So hatten wir zum Beispiel das Emin Minarett in Turpan ganz für uns.

Im Winter: Bis zu minus 30 Grad wurde es auf der Strecke durch Westchina.
Im Winter: Bis zu minus 30 Grad wurde es auf der Strecke durch Westchina.

Gut. Aber das ginge ja auch, wenn ihr mit Bussen oder einem privaten Fahrer reist.

Es ist ein riesiger Unterschied, ob man eine Landschaft aus dem Bus- oder Zugfenster an sich vorbeiziehen lässt, oder ob man eine Strecke selbst erfährt. Wir wollen ein Gespür für Chinas Größe entwickeln, selbst erkunden, was hinter der nächsten Kurve liegt und nicht zuletzt auch die eigenen Grenzen entdecken. Schon jetzt haben wir viele Facetten Chinas kennengelernt, die uns ohne Fahrrad verschlossen geblieben wären.

Schlechte Luft, die Unterdrückung Tibets und die berüchtigten Manieren der Chinesen: Das Reich der Mitte genießt bei Reisenden einen durchzogenen Ruf. Wie habt ihr China erlebt?

Wir sind beide große China-Fans! Kaum ein anderes Land bietet so viel Diversität: Von Wüsten, über die höchsten Berge der Welt, bis hin zu tropischen Sandstränden und pulsierenden Metropolen ist alles dabei. Zudem unglaublich nette Menschen, zahlreiche Sprachen und Kulturen und hervorragendes Essen. China polarisiert eben nicht nur in den Medien. Dem einen gefällt es, dem anderen nicht. Wir finden es hier klasse!

Trotzdem habt ihr kurz nach der Einreise eure Route geändert. Wieso?

Wir wollten zunächst auf dem Ableger der Seidenstrasse radeln, der südlich der Taklamakanwüste durchführt. Doch die Lage war wegen den Anschlägen der letzten Monaten sehr angespannt – und wurde schlimmer, je weiter wir uns von Kashgar entfernten: Sicherheits- und  Passkontrollen, kritische Blicke und Skepsis auf beiden Seiten. Kargilik, eigentlich eine nette Stadt an der Seidenstraße und im Sommer voll von Touristen, hat uns schließlich den Rest gegeben. Selbst an den Ecken des Stadtparks waren lanzenbewährte Panzersperren aufgebaut, die von je drei Soldaten mit Maschinengewehren bewacht wurden. Ein leichter Panzer mit bemannten MG fuhr um den Park seine Runden. Hier berichteten wir mehr über die Gründe. Kurz: Diese Krisenstimmung hat sich auch auf uns ausgewirkt. Ein weiterer Faktor: Der Zugang zum westlichen Internet war in der Region stark eingeschränkt. Für Blogger ein hartes Los. Ab Turpan änderte sich die Lage jedoch rundlegend und von einer Unruheregion konnte nicht mehr die Rede sein.

Weitab von der Zivilisation: Zelt am Straßenrand.
Weitab von der Zivilisation: Zelt am Straßenrand.

Hattet ihr Probleme mit der Polizei oder dem Militär? Sind viele Gebiete gesperrt?

Von Problemen kann nicht die Rede sein. Alle Polizisten und besonders auch die Vertreter des Militärs waren sehr freundlich und hilfsbereit. Die meisten Polizisten, die uns anhielten, hatten es ohnehin nur auf ein Foto mit uns abgesehen. Wichtig ist aber, sich den lokalen Gegebenheiten anzupassen. Zu Polizisten sollte man höflich sein, ihnen den nötigen Respekt entgegen bringen und nicht diskutieren anfangen. Auf diese Weise durften wir bisweilen auch gesperrte Gebiete passieren oder die Beamten halfen uns, eine alternative Route zu finden.

Was waren bisher eure Highlights auf der Route?

Besonders eingebrannt haben sich die endlose Leere der Wüsten und die tief verschneiten Bergpässe. In Gansu begeisterten uns zudem die zahlreichen und allgegenwärtigen Relikte der letzten Jahrhunderte: Fragmente der großen Mauer, die Ruinen alter Siedlungen und natürlich die buddhistischen Grotten, die wir eines Tages hinter einer Wegbiegung an einem Berghang entdeckt haben. Geschichte lässt sich hier tatsächlich greifen.

Unter den Lesern gibt es bestimmt den einen oder anderen, der ebenfalls so eine Fahrradreise erwägt. Geht das auch ohne Chinesischkenntnisse?

Sicherlich sind Chinesisch-Kenntnisse kein Muss für solch eine Reise. Wir genießen es aber schon sehr, mit den Leuten ins Gespräch kommen zu können. Ohne Sprachkenntnisse wäre viel Organisatorisches sehr mühsam wie zum Beispiel nach dem Weg zu fragen oder einzukaufen. Unser Blick auf dieses riesige Land wäre ohne Sprachkenntnisse mit Sicherheit ein ganz anderer. Dazu muss man wissen, dass die Menschen hier sehr kontaktfreudig und neugierig sind. Wann wir stehen bleiben, sind wir vielerorts umringt von Menschen. Zwei Deutsche auf schwer beladenen Fahrrädern sind oft im Handumdrehen Gesprächsthema Nummer Eins. Sogar Autos bleiben auf der Straße stehen, um kurz mit uns zu reden, Lastwagenfahrer fotografieren uns im Vorbeifahren und Rollerfahrer begleiten uns durch die ganze Stadt.

In den Bergen: Route südlich der Taklamakanwüste.
In den Bergen: Route südlich der Taklamakanwüste.

Noch ein Wort zur Vorbereitung: Ihr seid fast ein halbes Jahr in China unterwegs. Wie habt ihr das mit dem Visum gelöst? Normalerweise gelten Touristenvisa höchstens drei Monate.

Wir hören diese Frage häufig, aber eine überraschende Antwort haben wir leider nicht zu bieten: Touristenvisa werden für maximal 60 Tage bewilligt. Danach kann man noch ein Mal um 30 Tage in China verlängern. Diese Regeln gelten natürlich auch für uns. Wir werden daher zur Halbzeit ausreisen müssen und ein neues Visum beantragen.

Ihr seid mit dem Fahrrad über den Irkeshtam-Pass aus Kirgistan nach China eingereist. Wie waren eure Erlebnisse?

Da der Torugart-Pass als problematisch für Individualreisende gilt, haben wir uns für den südlicher liegenden Irkeshtam-Pass entschieden. Die Ausreise aus Kirgistan lief überraschend unbürokratisch und auch auf der chinesischen Seite waren die Grenzer sehr freundlich und das Prozedere schnell erledigt. Die nächsten 140 Kilometer müssen Ausländer mit einem Taxi fahren. Da es auf der Strecke wenig Konkurrenz gibt, verlangen die Fahrer teilweise unverschämte Preise. Wir konnten unser Taxi von 50 auf 25 Euro runterhandeln. Details dazu gibt es hier.

Wenn du mehr über die Abenteuer von Melanie und Sebastian erfahren willst, solltest du ihren Blog, ihre Facebook-Seite oder ihren Twitter-Account besuchen. Weitere Chinathemen findest du auf meinem Chinablog Sinograph. Vergiss nicht, dich beim monatlichen Newsletter einzuschreiben.

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