Länderzählen für Angeber: So machst du‘s richtig

Der Tourismus ist wegen der weltumspannenden Corona-Krise derzeit praktisch tot. Vielleicht ein guter Zeitpunkt, um Bilanz über die vergangenen Reisen zu ziehen und die Länder und Kontinente zu zählen, die du bereits besucht hast. Das richtig zu machen, ist allerdings gar nicht so einfach.

Etwas vorweg: Vor kurzem habe ich hier dargelegt, wieso ich gelegentlich nachzähle, in wievielen Ländern ich bereits war, und wieso ich darin nichts grundsätzlich Falsches erkennen kann – auch wenn mir bewusst ist, dass das viele anderes sehen. Bevor du einen bösen Kommentar schreibst, solltest du also zuerst den vorangehenden Artikel lesen. Nun aber zum eigentlichen Thema.

Immer wieder stosse ich auf Landkarten, auf denen man Länder markieren kann, die man bereits besucht hat. Am bekanntesten sind vermutlich die Rubbelweltkarten, bei denen sich jeweils die Staaten freikratzen lassen, die man bereits „abgehakt“ hat. Etwas Ähnliches habe ich auch hier im Blog eingebaut in meiner Destinationsübersicht. Leser erkennen dort auf Anhieb, wo ich schon war.

Solche „Angeberkarten“ funktionieren in der Regel recht gut. Man sieht ein Land in der Liste und entscheidet, ob man es schon kennt oder nicht. Etwas komplizierter wird die Sache hingegen, wenn der Rahmen nicht schon vorgegeben ist.

Ein Beispiel: Ich war 1992 in Russland und etwa 15 Jahre später habe ich Kirgistan besucht. Soweit, so klar. Das sind zwei deutlich von einander unterscheidbare Staaten. Zwei Striche auf der Strichliste. Aber was wäre, wenn ich die identischen beiden Reisen ein paar Jahre früher unternommen hätte? Dann wären beide Länder noch Teil der Sowjetunion gewesen. Zu jenem Zeitpunkt ganz klar ein Land. Wie müsste ich das heute zählen?

 

Wie viele Länder gibt es auf der Welt?

Während sich wetteifernde Traveller vermutlich noch vergleichsweise schnell einigen könnten, ob sie die heutigen Staatsgrenzen oder die zum Zeitpunkt der Reise als Grundlage nehmen, ist eine sehr viel grundlegendere Frage überhaupt nicht geklärt. Nämlich die, was ein zählbares Land ist. Das ist nämlich alles andere als klar.

Gut, bei Deutschland, Madagaskar oder Bolivien wird niemand lange grübeln müssen. Aber was ist mit der Westsahara, Taiwan oder Palästina. Die Entscheidung, ob man sie als Land zählt oder nicht, ist immer auch eine Frage nach der Anerkannung ihrer Eigenstaatlichkeit. Und die ist leider viel zu häufig umstritten.

Unterwegs in die weite Welt. Hier im Grenzgebiet von Thailand und Myanmar.

 

Die UNO: Mass der Dinge?

Die meisten Leute werden zunächst dazu neigen, diejenigen staatlichen Gebilde als Länder zu bezeichnen, die Mitglied der Vereinten Nationen sind. Das sind derzeit 193 Länder. Allerdings zeigt sich bei einem näheren Hinsehen, dass eine solche Definition aus mehreren Gründen problematisch ist.

Zunächst einmal deswegen, weil eine Eigenstaatlichkeit auch bei Nichtmitgliedern unbestritten ist. So ist beispielsweise der Vatikan bis heute nicht der UNO beigetreten und dennoch klar ein eigenes Land. Auch meine Heimat, die Schweiz, trat den Vereinten Nationen erst 2002 bei. Trotzdem würde niemand ernsthaft behaupten, dass die Schweiz vor 2002 kein Land gewesen wäre.

Nach der Drei-Elemente-Lehre braucht ein Land ein Territorium, ein Volk und eine Staatsgewalt, um ein eigener Staat zu sein. Weltweit gibt es mehrere Gebilde, die diese Bedingungen erfüllen und trotzdem kein UN-Mitglied sind. Meistens hängt das damit zusammen, dass ihnen aus politischen Gründen die Mitgliedschaft verwehrt wird.

Der Kosovo ist hier das vielleicht bekannteste Beispiel. 114 der 193 UN-Mitglieder haben den Kosovo als Staat anerkannt. Trotzdem wurde er bis heute nicht als Mitglied aufgenommen. Etwas anders sieht die Situation in Taiwan aus, das immerhin von einigen UN-Staaten als Land anerkannt wird. Weiter gibt es mehrere De-Fakto-Staaten wie Abchasien oder Südossetien, die vor allem von anderen nicht anerkannten De-Fakto-Staaten anerkannt werden. Auch sie fühlen sich aus Sicht eines Reisenden wie ein unabhängiges Land an: Sie haben eine eigene Währung und eine eigene Polizei. Wer die Gebiete besuchen will, braucht unter anderem ein anderes Visum, wie in dem Land, dem das Gebiet üblicherweise angerechnet wird.

Addiert man all diese De-Fakto-Staaten, kommt man auf 206 Länder. Diese Zahl entspricht zufälligerweise auch der Zahl der Länder, die im Olympische Komitee vertreten sind. „Zufällig“ deswegen, weil die Liste nicht vollkommen identisch ist. Und im Weltfussballverband, nach dem England, Schottland und Wales je als ein Land gelten, kennen wir sogar 209 Nationen.

Und das ist noch nicht das Ende der Verwirrung. Weiter gibt es nämlich noch alternativen Staatsgebilde wie die dänische Kommune Kristiania, das australische Atlantium oder die Stahlbetonplattform Sealand, die die herkömmliche Staatsdefintion in Frage stellen und teilweise auch ins Lächerliche ziehen. Eine schöne Übersicht über 50 undefinierte Länder findest du im Atlas der Länder, die es nicht gibt*.

Zähle deine Länder mit der Rubbelkarte

Eine der schönsten Arten, Länder zu zählen, ist diese Rubbelkarte. Sie erlaubt dir und deinen Besuchern einen schnellen Überblick, wo du schon überall warst und welche Regionen noch untervertreten sind. Die Rubbelkarte ist auch ein schönes Geschenk für alle, die in diesen Tagen lieber reisen würden.

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Sind Staaten überhaupt sinnvolle Zähleinheiten?

Wir sehen also: Wieviele Länder es tatsächlich gibt, ist gar nicht so einfach zu beantworten. Neben all den Herausforderungen beim Zählen, stellt sich aber eine sehr viel gründsätzlichere Frage: Sind Länder überhaupt sinnvolle Einheiten, wenn es darum geht, seine Reiseerfahrungen zu vergleichen? Das möchte ich ebenfalls gerne mit einem Beispiel aus meiner eigenen Reise-Karriere erläutern.

Als ich auf der oben erwähnten Karte Russland einfärbte, wirkte das, als hätte ich einen grossen Teil Asiens gesehen, obwohl ich nur ein paar Tage in Sankt Petersburg war. In China hingegen verbrachte ich mehrere Jahre und besuchte mit Ausnahme von Tibet jede Provinz. Dass meine jahrelangen Reiseerfahrungen in China den gleichen Stellenwert haben sollen wie mein Kurztrip nach Russland leuchtet mir nicht so ganz ein.

Der Traveller‘s Century Club begegnet diesem „Problem“ mit einer Liste von 329 thematisch sortierten Regionen. Die komplette Liste kannst du hier ansehen. Alaska, Sansibar oder Okinawa sind dort nicht einfach Teile von grösseren Ländern, von denen sie sich auf Grund von geographischen oder kulturellen Eigenheiten unterscheiden, sondern eigene Einheiten.

Mir gefällt dieser Ansatz. Erstens sind die Kriterien klar definiert und funktionieren unabhängig von politischen Ansichten. Zweitens ist die TCC-Liste in ihrer Zielsetzung ehrlich: Ihr geht es bloss darum, Richtlinien für eine gesittete Prahlerei zu definieren und dazu stehen die Macher. Deswegen ist es übrigens auch möglich, sich beim TCC seine Reisen bestätigen zu lassen und mit etwas Glück (und ganz viel Geld und Zeit) als meistgereiste Person der Welt anerkannt zu werden.

Land oder nicht? Ein Tempel auf Taiwan.

 

Und wieviele Kontinente gibt es?

Vielleicht willst du nach all diesen Herausforderungen beim Länderzählen nun doch alles etwas gröber gestalten und einfach nur die Kontinente zählen? Da muss ich dich leider enttäuschen: Auch die Zahl der Kontinente ist nicht so einfach zu bestimmen.

Beginnen wir mit dem Wort. „Kontinent“ stammt vom lateinischen terra continens. Wörtlich muss man das übersetzen als „das Land, das zusammengehalten wird“ oder etwas einfacher als die „Landmasse, die verbunden ist“. Im alten Rom galt jedes zusammenhängende Stück Land als Kontinent. Auch kleinere Inseln.

Das heutige Verständnis unterscheidet sich von dem der Antike. Ein Kontinent muss über eine beträchtliche Grösse verfügen und von den anderen Erdteilen abgetrennt sein. Eine genauere Defintion gibt es leider nicht. Es wird keine Mindestgrösse und auch keine Mindestdistanz bestimmt. Diese ungenauen Kriterien führen dazu, dass wir die Welt unterschiedlich aufteilen können (und es auch tun).

Die wichtigsten Unterteilungen sind die folgenden:

  • 7 Kontintente: Europa, Asien, Afrika, Nordamerika, Südamerika, Australien, Antarktis. Dieses Modell ist das Geläufigste.
  • 6 Kontinente: Bei diesem Modell werden entweder Nord- und Südamerika zu den Amerikas verschmolzen oder Europa und Asien zu Eurasien. Ersteres ist vor allem in Lateinamerika und Lateineuropa gebräuchlich, zweiteres eher in Russland und Osteuropa.
  • 5 Kontintente: Am bekanntesten ist die Einteilung auf Grund der Olympischen Charta (symbolisiert mit den fünf Olympischen Ringen): Europa, Asien, Afrika, Amerikas und Ozeanien. Gelegentlich trifft man aber auch auf eine Unterteilung Eurasien, Afrika, Amerikas, Ozeanien und Antarktis.
  • 4 Kontintente: Obwohl eine Einteilung in vier Kontinente selten ist, wäre eine Welt, die aus den vier Kontinenten Eurafrasien, Amerikas, Australien und Antarktis besteht, geographisch am leichtesten zu verteidigen.

Nebenbei: Auf diesem Blog unterteile ich nach fünf Kontinenten: Europa, Asien, Afrika, Amerikas und Ozeanien. Hintergrund sind allerdings keine geographischen Überlegungen, sondern die Verteilung meiner ganz persönlichen Reiseschwerpunkte.

Schwimmender Palast in Nordostindien.

 

Fazit: Wie soll ich also zählen?

Wenn es darum geht, quantitativ Reiseerfahrungen zu vergleichen, würde ich tatsächlich am ehesten die Liste vom TCC wählen. Sie gibt ein viel akurateres Bild ab als eine wie auch immer gestaltete Länderliste, zumal auch die Grössenunterschiede zwischen den Reise-Regionen nicht ganz so beträchtlich sind.

Sollte es hingegen tatsächlich primär um das Wissen gehen, in wievielen Ländern du schon warst, würde ich auch die umstrittenen und nicht anerkannten Staaten als eigene Einheiten zählen. Denn, wie oben schon gesagt, fühlen sie sich mit eigenen Währungen, Einreisebestimmungen und gesetzlichen Bestimmungen ohnehin meistens wie eigene Staaten an.

So unklar beim Länderzählen auch vieles ist: In einer Sache gibt es keinen Streit. Egal, was du genau zählst: Du musst mindestens einmal dort übernachtet haben. Ausserhalb des Flughafens.

Hinweis: Dieser Artikel ist 2013 schon einmal in etwas kürzerer Form erschienen.

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20 Kommentare

  1. Das finde ich lustig. :-) „Richtlinien für die Prahlerei“, das braucht’s ja wirklich noch. Aber es stimmt schon – mit Russland ist bei mir auch gleich ein riesiger Teil der Karte rot eingefärbt und China hilft beim „wichtig aussehen“ auch gut weiter. Wer alle Länder Europas bereist hat schaut dagegen trotzdem ziemlich alt aus. ;-)

    Die Liste muß ich auch einmal durchgehen – bin gespannt auf wieviele Länder ich komme. Danke für Deinen Tipp! :-)

  2. Es musste sein. Durchgezählt. Bin überrascht, ich komme erst auf 40 Länder. Kommt davon, wenn man gerne Destinationen (mindestens) doppelt besucht und gerne langsam reist. *fg*

    Aber: Zählen Sibirien und Russland wirklich als zwei Destinationen?

    1. Da bin ich ja mit meiner Überraschung über die recht niedrige Zahl in guter Gesellschaft. (Aber in zwei Monaten kommt mindestens ein neues Land dazu.)

      Es kommt halt drauf an, nach welchem Modus du zählst. Ich finde es aber eigentlich schon sinnvoller, wenn nicht Länder gezählt werden, sondern geographische Einheiten. Auch wenn ich der Meinung bin, dass die Vergleichbarkeit der Einheiten noch immer nicht so recht gegeben ist.

      1. Naja, also für mich ist „Länder-Abhaken“ auch nicht wirklich der Inbegriff von Reisen. Theoretisch könnte ich in wenigen Tagen einige Länder dazubekommen. Ich denke nur an die BENELUX-Staaten. Aber Spaß würde mir das keine bereiten…

  3. Sehr gute Tipps! Jetzt muss ich auch gleich mal zählen! Sag‘ mal, wie heisst die digitale Karte, auf der man bereits besuchte Länder einfärben kann? Viele Grüße! Marco

      1. Hi Marco & Oli,
        auch wenn die Frage nun schon ein paar Tage alte ist:
        http://www.aneki.com/map.php
        Die Karte ist relativ simpel zu gestalten und die Farben fürs Einfärben der Länder sind frei wählbar.
        Falls ihr euch mit JavaScript auskennt, ist natürlich noch die Google Maps API eine noch flexiblere Alternative.
        Gruss
        Patrick

  4. um das ein weinig zu ergänzen bzw. zu vervollständigen:

    TCC – „Travel Century Club(nicht Country)“ ;-) derzeit 324 Regionen
    TBT – „The best Traveled“ derzeit 1281 Regionen
    MTB – „Most traveled People“ 875 Regionen

    1. Hi Jonny,

      vielen Dank für den Hinweis auf den Fehler. Ich habe das gerade korrigiert. Das mit der Zahl der Regionen lass ich mal so wie es ist, schliesslich ist das Text schon etwas älter und auch so datiert.

      Etwas verwirrt bin ich bei den Zahlen. Was ist den der Unterschied zwischen dem Best traveled und dem Most traveled?

      Gruss,
      Oli

  5. Als Alternative zur physikalischen Karte gibt es your-trips.de

    Wir bieten dynamische Karten die u.a. dafür gemacht sind, um sie in eine externe Seite einzubinden.
    Beispiel 1:
    http://www.your-trips.de/permapfree.php?id=DE.BE.GR.BS.CR.CL.CN.JP.ET.TD.TR.RU,800,650,2,20.632784,13.406249,4,0.5,1

    Beispiel 2:http://www.your-trips.de/useroeftripspermap.php?id=oefpro532b3783c0b64,Banger,700,650,3,50,12,0,0,0,6,0.4,1,1,1,1,4,1,1,6

    Vorteile: Kostenlos, Abmessungen anpassbar, Style anpassbar, Dynamisch, Infos (Bilder, Datum, Texte) auf der Karte

    Bei Interesse einfach mal vorbeischauen.

  6. Dieser Beitrag ist sehr korrekt und informativ, vielen Dank ! Man sollte sich darauf einigen, dass man sich nur nach der Zahl der UN-Mitgliedsländer orientiert, d.h. im Moment 193. Weitere Länder/Territoirien sind ein amüsantes „Zubrot“. Noch wichtig: mindestens drei Tage sollte man in einem besuchten Land anwesend gewesen sein. Bitte jeden Besuch mit zwei Stempeln im Pass (Ein- und Ausreise !) nachweisen !

  7. Ich reise viel und besuche gern neue Weltgegenden, halte aber nichts vom Länderzählen. Manche Leute merken gar nicht, wie sehr sie damit unbewusst dem Kapitalismusgedanken nacheifern: Länder sammeln als Ziel an sich, so wie andere Schmuck oder Autos sammeln.

    Mal ehrlich: Es interessiert doch sowieso letztlich niemanden, wie viele Länder man bereist hat. Es ist ja auch nicht schwer, Länder abzuhaken, wenn man genug Zeit und Geld hat. Mir geht es beim Reisen um andere Dinge. Tolle Erlebnisse, Staunen im Angesicht großartiger Landschaften oder Orte, Menschen kennenlernen, Kulturen, inspiriert werden und mit neuen Ideen heimkehren. Und wenn ich dafür zum zehnten Mal in (Italien, Mexiko, Brasilien,…) bin, dann habe ich im Zweifel mehr erlebt, als wenn ich in derselben Zeit 10 Kleinstaaten abgegrast habe. Warum soll eine Weltgegend interessanter sein als eine andere, nur weil die Bewohner es geschafft haben, unabhängig zu werden?

    Interessant sind Menschen, die nicht beliebig sind. Die ihren eigenen Weg durch die Welt gehen, wissen, was sie wollen und die Kunst des Weglassens verstehen: Weglassen, was nicht zu ihnen passt. Die eigene Reise des Lebens gestalten, individuell, ohne auf den (verdammt stressig wirkenden) Zug der ehrgeizigen Wetteiferer aufzuspringen.

    1. Selbstverständlich interessiert es Leute, wie viele Länder sie schon besucht haben. Da darfst du nicht von dir auf andere schliessen. Wieso sonst würden sie die Länder überhaupt zählen?

      Das Argument mit der Kapitalismuskritik hat was für sich. Dieses Haben-Wollen kann schon ein Grund sein, dass jemand so eine Art soziales Kapital aufbauen will, um dann in der Reiseszene zu brillieren und als kompetenter zu gelten.

      Allerdings widerstrebt es mir, alles auf eine Machtfrage zu reduzieren. Ich glaube, dass man auch aus idealistischen Gründen den Wunsch haben kann, „alles“ von der Welt zu sehen.

      1. Menschen sind verschieden, klar. Aber ich finde, es lohnt, mal eine Weile darüber zu meditieren, ob es das wirklich sein kann als Lebensziel, welchem Ideal man da so nachläuft mit diesem „alles-gesehen-haben-wollen“. Die Länderzähler haben ja meistens gerade nicht viel gesehen, wenn sie für 4 Tage einen Staat besuchen (einschließlich An- und Abreisetag), ein paar Fotos posten und dann weiterhetzen. Vor allem aber sind doch Ländergrenzen höchst willkürlich und veränderlich. Warum ist zum Beispiel das unabhängige Kiribati spannender als benachbarte, vielleicht wesentlich schönere Inseln, die ein Länderzähler nicht besucht, weil sie nicht unabhängig geworden sind? „Alles“ von der Welt zu sehen staatsrechtlich im Hinblick auf oft willkürliche Grenzen zu definieren, finde ich seltsam. Ich könnte das allenfalls nachvollziehen, wenn die Länderzähler sich für die Unabhängigkeit dieser Länder interessieren, für die Verfassung und für alles, was die Unabhängigkeit im Vergleich mit einem abhängigen Gebiet so besonders macht.

        Seltsam ist aber nicht nur diese allzu willkürliche Definition von „alles gesehen haben“, sondern der Wunsch an sich, alles sehen zu müssen. Das Leistungsprinzip, das uns lange genug eingetrichtert wurde, wird einfach auf den Freizeitbereich übertragen. Nichts spricht für mich dagegen, Ziele im Leben zu haben, Herzenswünsche. Aber es ist so eine Sache mit den Wünschen. Die Werbung weiß, wie Wünsche von Menschen bis ins Unendliche manipulierbar sind. Die Länderzähler gehen letztlich diesem Konsumdenken auf den Leim. Sie lassen sich einreden, dass sie das alles haben bzw. gesehen haben müssen.

        Daher meine Lebenseinstellung, der sich niemand anschließen muss: Auswählen, was zu mir passt, was meinen wahren Herzenswünschen entspricht, und diese Wünsche dann in die Tat umsetzen. Und den Rest gnadenlos streichen. Das betrifft nicht nur Reiseziele, sondern alles: Sachen, Menschen, Einstellungen. Weg damit. Die „Bucket Liste“ in den Schredder stecken und sich bei einem langen Spaziergang fragen, welche Erlebnisse diese Begeisterung wecken, die das Reisen (und das Leben an sich) so wunderbar machen.

        1. Klar gibt es immer wieder Leute, die in zwei oder drei Jahren jedes Land der Welt besuchen. Aber wer sagt denn, dass ein Länderzähler zwingend hetzen muss? Es gibt rund 200 Länder. Wenn man die auf 50 reiseaktive Jahre verteilt, dann sind das 4 Länder pro Jahr. Wenn man sich das eine oder andere Sabatical nimmt und nicht alles auf seinen 4 Wochen Jahresurlaub beschränkt, dann geht das eigentlich ganz gut ohne Gehetze. Ich bin zum Beispiel selten weniger als zwei Wochen in einem Land und habe Regionen, die mich besonders interessieren. Dennoch halte es für möglich, dass ich bis 70 das lose Ziel erreicht habe, alle Länder der Welt zu besuchen. Und wenn nicht, dann ist das auch okay.

          Dass Ländergrenzen willkürlich sind, sehe ich auch so. Aber das ist meiner Meinung nach weder ein Argument für noch gegen das Länderzählen. Wieso sollte es wertvoller sein und einen tieferen Einblick vermitteln, wenn ich zwei Provinzen im gleichen Land besuche als wenn ich die sich zufällig in verschiedenen Staaten befinden? Dazu kommt, dass es gar nicht so wenige Regionen und Völker gibt, die sich über mehrere Länder verteilen. Kurden leben zum Beispiel in fünf verschiedenen Nationalstaaten. Wieso sollte man einen tieferen Einlick gewinnen, wenn man innerhalb eines einzelnen Landes rumhetzt als wenn man sich mit dem kurdischen Siedlungsgebiet auseinandersetzt und zum Beispiel innerhalb eines Monats für Staaten besucht?

          Ich denke deswegen, dass nicht die Frage Länderzählen oder nicht an sich entscheidend ist, sondern wie bewusst man unterwegs ist. Denn Deine Argumente, die ich generell unterschreiben würde, sind für mich eher ein Bekenntnis zu Slow Travel und zum bewussten Reisen. Sie fordern aber keine Beschränkung auf wenige Reiseziele und verlangen nicht, die Augen vor der immensen Vielfalt unserer Welt zu verschliessen. Und ich denke, dass wir uns auch da sehr viel näherstehen, als es denn Anschein hat. Denn das, was mich am Reisen begeistert, ist eben diese Vielfalt.

  8. Ich bin kein Fan von rubbelkarten. Nur weil ich in Paris war kann ich nicht direkt ganz Frankreich abrubbeln, ist zu mindestens meine Meinung. Verschiedene Region innerhalb eines Landes sind kulturell oft ganz unterschiedlich.
    Ich habe eine Weltkarte von hinten mit Pappe beklebt und steche nun Stecknadeln rein. Direkt an den Ort an dem ich war, nicht in das gesamte Land. Dafür nutze ich verschiedene Farben ( rot= mit Mann und Kindern, gelb= mit Mann, grün= ich allein, blau= dort war nur mein Mann). Außerdem kenn zeichne ich auch wie gut ich den Ort wirklich kennengelernt habe, dies tue ich mit verschiedenen Farbabstufungen (dunkel= kenne ich sehr gut, habe dort richtig über längere Zeit gewohnt, mittel= mindestens vier Tage dort gewesen und mit einheimischen gesprochen, hell= nur drei oder weniger Nächte und das Land kulturell nicht wirklich erlebt.

    1. Wow, das ist ja ein richtig ausgefeiltes System! Bei den Rubelkarten bin ich voll bei dir. Das ist besonders absurd, wenn man ein Wochenende in Peking und Moskau verbringt und es dann aussieht, als würde man halb Asien kennen….

  9. Es gibt viele Zählmethoden. Vielleicht sind die Menschen mit 10 Ländern mehr gereist als die Menschen mit 100 Ländern!?
    Dann noch die Frage: „Was habe ich gesehen?“ In 10 Tagen bin ich 70 Jahre alt und reise immer noch gerne – aber nicht mehr in den Ländern, in denen Killer der NATO, der UNO und sonstigen Bündnissen ihr Handwerk ausüben!

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