Kommentar: Wieso unsere Pässe bald nichts mehr wert sind

Retour-Kutsche: Es wird immer schwieriger für uns, ein chinesisches Visum zu beantragen. Foto: Oliver Zwahlen
Retour-Kutsche: Es wird immer schwieriger für uns, ein chinesisches Visum zu beantragen. Foto: Oliver Zwahlen

In den letzten Wochen klagten verschiedene Schweizer Hoteliers über Scheinbuchungen von Chinesen. Was sie jedoch nicht beachteten: Bürokratische Schikanen bei der Erteilung von Schengenvisa zwingen Reisewillige nahezu, mit falschen Angaben einzureisen. Eine Beobachtung aus eigener Erfahrung.

Li Ziyin gehört zu den Leuten, die in Europa nicht gerne gesehen werden. Die junge attraktive Chinesin ist nicht nur im besten Heiratsalter, sondernverfügt weder über Geld, eine Arbeitsstelle noch eine richtige Wohnung. Sie ist eine leidenschaftliche Backpackerin, die gerne unabhängig durch die Welt tingelt. Ihr Geld verdient sie, indem sie auf chinesischen Openairs Space-Cookies und Gras verkauft. Vor wenigen Wochen war sie ein Monat lang in Europa, hat zahlreiche Festivals besucht. Ob sie dort – wie geplant – weiche Drogen verkaufte, weiss ich nicht. Das Visum hat Ziyin auf der Schweizerischen Botschaft in Peking bekommen.

Dass sie mit echten Angaben den Sichtvermerkt nicht bekommen würde, war der klugen Frau klar. Also hat Ziyin zunächst einen Bekannten mit einer eigenen Firma gebeten, ihre eine falsche Arbeitsbestätigung auszustellen, bereits zuvor hatte sie sich bei Bekannten Geld ausgeliehen, um genügend Vermögen vorzutäuschen. Anschliessend reservierte sie mehrere Hotels in der Schweiz, hauptsächlich im oberen Preissegment. Sie wusste, dass wir Schweizer Ausländer vor allem dann mögen, wenn sie im Land viel Geld ausgeben. Dass sie die reservierten Hotels nie von Innen sehen würde, war von Anfang an klar. Ihr wahrer Plan war es, mit einer Freundin im Auto durch Europa zu tuckern, hin und wieder wild zu campieren, auf den Festivalgeländen zelten und auch gelegentlich einmal in einem Hotel zu übernachten. Allerdings frei und nach Lust und Laune und nicht nach einer vorher eingegebener Reiseroute, wie das von den Visabehörden verlangt wird.

Scheinreservierungen nerven Hoteliers

Die Art, wie Ziyin ihr Visum erschwindelt hat, ist offenbar kein Einzelfall. Vor kurzem ging ein Aufschrei der Schweizer Hoteliers durch die Medien. So echauffierte sich beispielsweise Robert Kneubühler, Geschäftsführer des Berner Hotels Alpenblick, kürzlich in der Berner Zeitung darüber, dass ganze Gruppen Scheinbuchungen bei ihm tätigen und dann kurz vor der Anreise die Reservation stornieren. Wenn in dem mit seinen 53 Zimmern eher kleinen Hotel die Gäste einfach nicht erscheinen oder kurzfristig absagen, dann ist das mehr als bloss ein Ärgernis. Laut dem erwähnten Zeitungsartikel entsteht so Monat für Monat ein Schaden von mehreren tausend Franken.

Kneubühler sieht das Problem bei unnötigen und vor allem nicht überprüfbaren Vorgaben und schlägt deswegen vor: „Man könnte die EU-Regel, die vorschreibt, dass Chinesen das Schengen-Visum beim Land des Hauptreiseziels beantragen müssen, ganz einfach streichen“. Damit hat er recht, doch vermutlich nur teilweise. So liesse sich wohl tatsächlich erreichen, dass nicht mehr ganze Gruppen von bis zu 15 Personen ihre Visa in einem Land beantragen, das sie gar nicht besuchen wollen. Doch wer wie Li Ziyin frei und unabhängig trampen will, ist nach wie vor gezwungen, seinem Einreiseantrag Scheinbuchungen beizulegen. Und im Falle von China dürfte sich das Problem weiter verschärfen: Gemäss der kürzlich erschienen Studie „Chinese International Travel Monitor (CITM) 2013“ bevorzugen immer mehr Chinesen Individualreisen: Immerhin 62 Prozent der Befragten bestätigten dies.

Die Entwertung unserer eigenen Pässe

Es gibt jedoch auch einen anderen Grund, bei der Visa-Vergabe mehr Vernunft als Bürokratie walten zu lassen. Vor einigen Tagen war ich wieder einmal in Bern auf der chinesischen Botschaft, um dort ein neues Visum für die Volksrepublik zu beantragen. Seit ich vor drei Jahren das letzte Mal ein chinesisches Touristenvisum beantragt habe, hat sich einiges verändert: Neu muss ich neben dem reservierten Flug auch meinerseits für jede Nacht eine Hotelreservation vorlegen, neu kann ich die Vergabe des Sichtvermerks nicht mehr durch eine Expressgebühr beschleunigen und neu kostet mich der bunte Aufkleber im Pass nicht mehr 50 sondern 80 Franken.

Man kann dies als Hinweis darauf interpretieren, dass sich China dem Ausland wieder zunehmend verschliesst. Doch damit verfehlt man die wahren Hintergründe der Aktion. Wahrscheinlicher ist, dass es sich auf eine Reaktion auf die sich ständig verschärfenden Einreisebestimmungen Europas handelt. Zum Intergrund: Im Oktober 2011 ist das Visa-Informationssystem (VIS) in Betrieb gegangen. Im Wesentlichen geht es darum, dass alle Touristen, die ein Visum für den Schengenraum beantragen, ihre Fingerabdrücke hinterlassen müssen.  Vorerst ist das System erst in Nordafrika eingeführt worden, doch bald sollen Besucher aus der ganzen Welt wie Kriminelle behandelt werden. Dies, wie immer, im Namen der Sicherheit.

Nur ein Monat später, also im November 2011, schaffte China die Expressvisa ab. Bemerkenswerterweise jedoch ausschliesslich für Bürger von Schengenstaaten, wie ich mich vor kurzem in Malaysia überzeugen konnte. Dort stellt die chinesische Botschaft weiterhin Sichtvermerke innerhalb eines Arbeitstags aus – nur leider nicht mehr für mich. Mein Pass ist also zumindest in dieser Hinsicht bereits weniger wert als ein Pass eines Bürgers von Malaysia. Selbst wen es nicht stört, dass man Gästen Fingerabdrücke nimmt, dürfte sich über solche berechtigen Retour-Kutschen nerven. Denn sie führen dazu, dass wir vermehrt Probleme bei der Einreise bekommen.

Wir brauchen sinnvolle Regeln

Es ist nicht Falsches, sich Gedanken über illegale Immigration zu machen. Das Wohlstandsgefälle zwischen Europa und den Länder des Südens existiert und damit natürlich auch eine Motivation, den Schengenraum nicht mehr zu verlassen. Das ist ein Problem, das ernstgenommen werden muss. Doch ob sich das dadurch lösen lässt, dass wir den visapflichtigen Besuchern und auch unseren Visabeamten einen sinnlosen Papierkrieg aufbürden, von dem jeder weiss, dass sich Falschangaben per se nicht von echten unterscheiden lassen, ist mehr als fraglich.

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