Im Kinderhaus von Addis Abeba: Hilfe für die Bedürftigsten
Klaus Betz (50) zog vor über fünf Jahren gemeinsam mit seiner äthiopischen Frau nach Addis Abeba. Hier kümmert sich das Paar im selbst gegründeten Kinderhaus um die Straßenkinder der ostafrikanischen Metropole. Das Weltreisemagazin befragte den Deutschen zu seiner Arbeit und das Leben in Afrika.
WRM: Herr Betz, Sie betreiben mit Ihrer Frau in Addis Abeba ein Tagesheim für Kinder. Wieso kein klassisches Waisenhaus?
Klaus Betz: Wir haben bewusst einen anderen Ansatz gewählt. Die Waisenhäuser der Stadt sind voll mit Sozialwaisen, die oft einen ganz ähnlichen Hintergrund haben: Die Mutter kam vom Land in die Stadt, wurde schwanger und anschliessend vom Vater verlassen. Mit dem Baby fand sie keine Arbeit. Ohne die traditionelle Großfamilie im Rücken steht eine solche Frau ganz alleine da und da es auch keine staatliche Hilfe gibt, muss sie entweder das Kind weggeben oder betteln. Hier wollten wir einsetzen, denn wir sind überzeugt, dass es für die Kinder wichtig ist, dass sie in der eigenen Umwelt verwurzelt bleiben und die mütterliche Liebe erfahren, gleichzeitig aber auch in einem gepflegten Umfeld aufwachsen können. Das gibt ihnen die Hoffnung, dass sich ihr eigenes Leben deutlich von dem ihrer Mütter unterscheiden wird. Für die klassischen Waisenhäuser ist ja genau das eine der ganz großen Herausforderungen: Viele Waisenkinder haben zwar eine gute Ausbildung, tun sich aber schwer, die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen, denn sie sind auf einer Art Insel aufgewachsen. Allgemeines Grundwissen der Gesellschaft fehlt oft.
Deswegen bieten Sie auch gezielt Unterricht an?
Wir bieten Kindergartenunterricht und senden die meisten Kinder im Alter von sechs Jahren in eine engagierte Privatschule. Wir wollen die Kinder bis zur Selbständigkeit begleiten. Schon jetzt lässt sich erkennen, dass viele Schüler sehr intelligent sind und es bei richtiger Förderung bis zur Uni schaffen werden, auch wenn ihre Mütter weder lesen noch schreiben können. An Motivation fehlt es nicht. Die Kinder wollen Arzt, Pilot oder Stewardess werden. Da fast alle Kinder aus zerbrochenen Familienverhältnissen kommen, sehen wir uns aber auch als Zufluchtsort und Auffangbecken. Bei uns können die Kinder ihren Stress abbauen und geschützt vor den Einflüssen der Straße aufwachsen. So verhindern wir auch, dass sie selbst wieder ein Leben auf der Straße führen werden.
Wie kümmern Sie sich um die Mütter?
Wir haben mehrere Programme mit den Müttern begonnen, um nachhaltig eine Veränderung und Verbesserung ihrer Lebensqualität und der ihrer Kinder zu bewirken. Neben einem traditionellen Restaurant für die Mütter unserer Kinder haben wir eine Spargruppe angeregt und bieten in den nächsten Wochen auch eine Friseur- und Schneiderausbildung an.
Sie begannen im März 2008 mit acht Kindern. Wie hat sich das Heim inzwischen entwickelt?
Ohne den Vorteil berühmt oder reich zu sein, war unser Anfang sehr bescheiden und viele haben uns belächelt. Allerdings hat sich bei der praktischen Umsetzung die Besonderheit, als gemischtes Ehepaar in zwei Kulturen verwurzelt zu sein, häufig ausgezahlt. Manche haben sicher gedacht: „Acht Kinder, das kann ein guter Familienvater auch hin kriegen.“ Heute sind wir für knapp 70 Kinder verantwortlich und unsere Arbeit hat deutlich an Aufmerksamkeit und allgemeiner Anerkennung gewonnen.
Was sind ihre weiteren Pläne?
Wir glauben leidenschaftlich, dass Äthiopien aufstehen wird – deshalb hat unser Verein auch den Namen „Ethiopia Arise“. Damit meinen wir nicht nur die Wirtschaft allein, sondern auch die nächste Generation mit verantwortungsbewussten Bürgern. Deshalb sind unsere weiteren Pläne groß. Unser nächstes Projekt ist ein Kindergarten und eine Schule auf dem Land, wo immer noch 56 Prozent der äthiopischen Kinder keinen Zugang zu einfachsten Grundlagen der Bildung haben. Dafür haben wir einen Plan zum Bau für einen Kindergarten und eine Grundschule für 450 bis 500 Kinder entworfen. Wir hoffen, dass wir 2013 mit dem Bau beginnen können. Später wollen wir die gesammelten Erfahrungen nutzen und ein zweites Kinderhaus in Hawassa, 275 km südlich von Addis Abeba, gründen, wo die Probleme ähnlich sind wie in Addis. Die Erfahrungen der letzten fünf Jahre helfen uns bei der Umsetzung unseres Mottos „Save a Smile“. Natürlich benötigen wir dazu Partner, die uns zur Seite stehen. Deswegen bieten wir eine Kindergarten- oder Schulpatenschaft an, um die Nachhaltigkeit der Arbeit zu gewährleisten.
Sie kennen Äthiopien seit Ende des Bürgerkriegs vor 20 Jahren. Was hat sich in den Jahren verändert?
Ich freue mich sehr hier die Chance zu bekommen, dass von Hunger und Krieg geprägte Bild Äthiopiens ein wenig zurechtzurücken. Als ich im Jahre 1992 das erste Mal nach Äthiopien kam, war das Land sehr schwach entwickelt und einfache Straßenbeleuchtung gab es nur in kleinen Teilen der Hauptstadt. Das Straßennetz war heruntergekommen und unzureichend ausgebaut. Heute leben wir in einer boomenden Stadt, sodass sich die Lebensqualität für viele verbessert hat. Das Straßennetz ist gut ausgebaut und überall schießen moderne Hotels, Büros und Einkaufzentren wie Pilze aus dem Boden. Zudem gehört Addis Abeba zu einer der sichersten Großstädte Afrikas. Politisch ist das Land stabil und erst kürzlich hat die Welt nach dem plötzlichen Tod des letzten Premier Minister Meles Zenawie eine friedliche Machtübergabe gesehen. Trotz des sichtbaren wirtschaftlichen Erfolgs gibt es aber auch viel Verlierer.
Äthiopien verfügt über eine faszinierende Kulturgeschichte und spannende ethnische Gebiete. Für wen sind Reisen in das Land geeignet?
Äthiopien ist für europäische Touristen ein interessantes Reiseziel. Die mehr als dreitausend Jahre alte Geschichte ist faszinierend. Bekannt sind die Felsenkirchen von Labibella, die Stehlen von Axum und die Burg von Gondar. Aber auch die 400 Jahre alte portugiesische Brücke in Debre Libanos am Rande eines atemberaubenden Canyons, 110 km nördlich von Addis, ist eine Reise wert. Die Naturvölker im Süden werden immer mehr zur Touristenattraktion. Mit allem Für und Wider. Äthiopien wirbt mit dem Slogan „13 Monate Sonnenschein“, zurückzuführen auf den traditionellen Kalender mit 12 Monate à 30 Tagen und einem kurzen Monat mit 5 Tagen. Sonnenschein gibt es tatsächlich reichlich – auch dann, wenn es in Mitteleuropa nasskalt und frostig ist. Die Temperaturen steigen dank des trockenen Klimas und der Höhe von 2400m über dem Meeresspiegel aber nicht höher als 25-28°C. Aufgrund des angenehmen Klimas ist das Land auch für ältere Touristen geeignet. Die Spannweite der angeboten Möglichkeiten geht von Individualreisen bis hin zu wohlorganisierten Gruppenreisen in allen Preiskategorien. Ein Bekannter von mir leitet regelmäßig geführte Fahrradtouren durch Äthiopien mit einem Besuch bei uns im Kinderhaus zum Abschluss und ein Freund – der Weltmeister im Lachen – bietet Laughtertouren durch Äthiopien an. Da bleibt kein Auge trocken.
Sie helfen nicht nur im Land, sondern Sie leben auch dort. Was sind die Herausforderungen im Alltag?
Ich werde mich wohl nie an die vielen Bettler gewöhnen, die zwar harmlos sind – selbst wenn man nichts gibt, wird keiner aggressiv – aber das bleibt mir immer fremd. Auf den Straßen wird hinter einem hergerufen und vor Taschen und Trickdieben muss man sich vorsehen. Das kann leider das Bild der überaus gastfreundlichen und warmherzigen Bevölkerung trüben. Eine traditionelle Kaffeezeremonie in einer Familie kann schon mal eine gute Stunde dauern, wird aber zu einem unvergesslichen Erlebnis.
Planen Sie, irgendwann wieder nach Deutschland zurückzukehren?
Als wir vor mehr als fünf Jahren unsere Koffer und den Container packten, hatten wir keinen Plan B und auch jetzt erfüllt uns die Arbeit, die wir tun. Wir glauben, dass wir gerade erst am Anfang unserer Aufgaben sind und wir beten, dass uns noch viele fruchtbare Jahre geschenkt werden.
Weitere Informationen, auch zu einer Patenschaft, lassen sich der Webseite www.ethio-arise.org entnehmen.