Fahrtensegler: Mit zwei Kindern auf Langzeitreise

Nathalie Müller und Familie sind eingeschworene Tourensegler. Wie die vier Nomaden mit der Seekrankheit umgehen, wie die Kinder unterrichtet werden und wieso der Alltag auf See auch nach zehn Jahren nicht langweilig wird, verrät sie im neusten Interview des Monats.
WRM: Nathalie, nach einer abgeschlossenen siebenjährigen Segeltour seid ihr seit zwei Jahren wieder unterwegs. Gerade segelt ihr in der Karibik. Werden nicht selbst solche Paradiese auf Dauer langweilig?
Nathalie Müller: Das Paradies kann sehr vielfältig sein. In all der Zeit, die wir unterwegs waren, ankerten wir ja nicht nur vor den typischen weißen Sandstränden mit Kokospalmen. In den letzten drei Jahren lernten wir Buenos Aires kennen, wir beobachteten Pinguine und Guanakos, wir sahen die Gletscher im Beagle Kanal kalben, wir badeten in heißen Quellen unter Vulkanen in patagonischen Fjorden, erlebten auf Grenada den Karneval und sind mit Schildkröten in den Tobago Keys geschnorchelt. Doch selbst der paradiesische Sandstrand hat nach vielen Jahren noch seinen Reiz. Früher waren wir alleine unterwegs, heute sind die Kinder dabei. Sie lernen schwimmen, schnorcheln, tauchen und fischen. Eine neue Perspektive des Paradieses und keineswegs eine langweilige.
Wie oft segelt ihr weite Strecken? Wie lange bleibt ihr an einem Ort?
In der Karibik sind die Strecken vergleichsweise kurz. Maximal vier bis fünf Tage sind wir unterwegs, um neue Inseln zu erreichen, meist kürzer. Wenn es uns irgendwo gefällt, bleiben wir gerne ein paar Wochen und lassen dafür ein anderes geplantes Ziel aus. Wenn uns die Decke irgendwo auf den Kopf fällt, setzen wir die Segel und holen uns andernorts die ersehnte Ruhe oder den Trubel, je nachdem. Mit Kindern bleibt man generell länger an einem Ort. Der Schulalltag muss ja in das Bordleben integriert werden und ein bisschen Routine tut da gut. Nebenher arbeiten wir an unserem Schiff und sind daher oft auf Ankerplätze mit Infrastruktur angewiesen.
Ankert ihr eigentlich lieber in einer einsamen Bucht oder ist es praktischer, in einem Hafen anzulegen?
Wir liegen lieber vor Anker. Unser Schiff ist dafür ausgerüstet autark zu sein. Über Solarpaneele, Wind- und Dieselgenerator erzeugen wir unseren Strom, eine Meerwasserentsalzungsanlage versorgt uns mit Süßwasser. Unser Auto ist das Dinghi, das Beiboot, mit dem wir an Land fahren können. In Marinas hat man sehr direkte Nachbarn, ähnlich wie auf einem Campingplatz. Das ist uns zu eng. Zudem mögen wir die Bewegung des schwojenden Schiffes und gerade in den Tropen den Wind, der vor Anker immer von vorne kommt und für einen angenehmen Luftzug im Schiff sorgt. Und den Sprung ins Wasser von der Badeplattform kann man auch nur vor Anker genießen.

Wie gestaltet sich der Kontakt mit anderen Segelnden? Oder seid ihr an abgelegenen Orten, wo es kaum andere Segler gibt?
Für uns ist eine gute Mischung wichtig. Das Gros der Fahrtensegler bewegt sich auf der sogenannten Barfußroute um den Erdball. Auch wir haben uns immer wieder entlang dieser Route bewegt, sind aber auch abgebogen. So schön es ist, andere Segler zu treffen, so spannend ist es auch, andere Kulturen unterwegs kennenzulernen. Ich denke das ist ein Phänomen, das alle Reisende beobachten: Das Interesse der Menschen und die Aufgeschlossenheit sind einfach größer, wenn nur selten jemand vorbeikommt. Schnell sitzt man im Wohnzimmer einer Familie, geht zusammen fischen, teilt eine Mahlzeit. Erfahrungen, die man nicht erleben würde, wenn man nur in der Seglergemeinschaft bleibt. Manchmal ist es auch schön, an ganz abgelegenen Orten zu liegen und sich ganz auf das Familienleben konzentrieren zu können. Die Kinder genießen es, unsere volle Aufmerksamkeit zu haben und in den langsamen Trott der Palmeninseln zu verfallen.
Apropos Kinder. Ihr unterrichtet sie selber. Vermissen die beiden eigentlich nicht den Kontakt zu den Klassenkameraden?
Eher nicht. Sie kennen ja keine Schulen und damit auch keine Klassenverbände. Andere Kinder müssen sie aber nie lange vermissen. Gerade in der Karibik vergeht keine Woche, in der wir nicht wenigstens ein Schiff mit anderen Kindern treffen. Da viele den gleichen Weg haben, kennt man sich auch und trifft sich in größeren Abständen wieder.
Wie lange muss man sparen, um sich den Traum einer Weltumseglung leisten zu können?
Das ist eine sehr schwer zu beantwortende Frage. Man muss sich nur einmal auf einem typischen Ankerplatz umschauen: Da liegen Schiffe, die haben 20.000 Euro gekostet, Boote für 100.000 und auch für 500.000 Euro. Die eine Familie leistet sich wenig, verbringt Wochen auf einsamen Inseln und lebt so bequem von 800 Euro im Monat, das Ehepaar daneben gibt locker 3000 Euro aus. Ein Freund von uns schrieb einmal, dass man für ein gut ausgerüstetes Schiff der mittleren Größe, also um die zwölf Meter, um die 100.000 Euro veranschlagen sollte. Ob man nun selber baut, ein altes Schiff kauft und es ausrüstet oder eine komplette Fahrtenyacht kauft, spielt dabei selten eine Rolle. Aber natürlich gibt es genug Beispiele von Seglern, die mit weniger auskommen.
Zu den Vorbereitungen gehört neben dem Sparen auch, alle nötigen Scheine zu machen und Meilen abzufahren. Wie lange braucht man dafür?
Wie viel Ausbildung jeder vorher macht, ist ebenfalls sehr individuell. Wer nicht ohne alle möglichen Scheine aufbrechen will und blutiger Anfänger ist, muss dafür sicher ein paar Jahre einplanen. Wir hatten beide nur einen Küstensegelschein, als wir losfuhren. Michael hat erst nach unserer ersten Reise einen Hochseeschein, die Ausbildung zum britischen Yachtmaster gemacht – nach vier erfolgreichen Ozeanüberquerungen! Nicht zu vergessen: Vom Kauf des Bootes bis zur Fertigstellung der Ausrüstung kann auch schnell ein Jahr oder mehr vergehen. Wir haben unser neues Boot im Februar gekauft, und da es für uns nicht das erste ist, können wir die Instandsetzung mit dem Segeln verbinden. Allerdings haben wir uns im ersten halben Jahr auch in einem sehr zivilisierten Revier bewegt. Schiffsausrüster und Baumärkte gibt es auf allen Inseln in der Karibik. Für eine Ozeanüberquerung oder einen Trip in die hohen Breiten sind wir aber immer noch nicht komplett gerüstet.
Hat es sich aus eurer Sicht bewährt, mit wenig Segelerfahrung aufzubrechen?
Den richtigen Zeitpunkt muss jeder selber bestimmen. Wir haben unser Boot zwei Jahre im Wattenmeer in Holland gesegelt bevor wir losgefahren sind und haben in jedem Revier viel dazugelernt. Als wir von den Kapverden zu unserer ersten Ozeanüberquerung aufbrachen, kannten wir unser Schiff in- und auswendig. Viel wichtiger als die Hochseeerfahrung ist aber meiner Meinung nach, dass man mit dem Schiff und der Technik zurechtkommt, dass man Probleme mit Bordmitteln beheben kann und sich auf See zu helfen weiß. Wer zwei linke Hände hat, kann noch so viele Segelscheine besitzen. Auf dem Meer gibt es keine Werkstatt, keine Helfer. Dort ist man auf sich gestellt.

Wie sieht‘s eigentlich mit der Seekrankheit aus? Habt ihr euch ans Schaukeln gewöhnt?
Wir sind glücklicherweise wenig anfällig für Seekrankheit und auch unsere Kinder haben sich mittlerweile gut an das Schaukeln auf See gewöhnt. Natürlich versuchen wir bei moderaten Winden loszufahren, aber bewegte Kurse am Wind lassen sich nicht immer vermeiden. Wenn wir wissen, dass ein besonders rauer Trip vor uns liegt, fahren wir gerne am späten Nachmittag los. Das erste Anzeichen für Seekrankheit ist Müdigkeit, die setzt dann schnell bei den Kindern ein und wir können sie in ihre Kojen legen. Sobald sie eine Nacht auf See geschlafen haben, haben sie sich daran gewöhnt und merken kaum noch etwas. Auch wir brauchen meist 24 Stunden, bis wir vollkommen einsatzfähig sind. Alle Arbeiten unter Deck wie das Kochen, Logbuch schreiben, Computerarbeit, bleiben dann liegen oder werden im Schnelldurchgang erledigt.
Ihr habt ein Buch über den Trip eures Lebens geschrieben, das bereits in der dritten Auflage erhältlich ist. Erzähle kurz, worum es geht.
Unser Buch „Meer als ein Abenteuer“ handelt von unserer ersten Reise, vom Start 2000 in Holland bis zum Ende 2007 in Südafrika. Es handelt von einem Paar, das mit großen Träumen, viel Enthusiasmus und wenig Erfahrung aufbricht, die Welt kennenlernt und während der Reise beschließt, eine Familie zu gründen. Unsere erste Tochter Maya wurde in Malaysia geboren, unsere zweite Tochter Lena zum Ende der Reise in Südafrika. Das Buch ist aus zwei Perspektiven geschrieben, ein Wechsel zwischen Passagen, die die Reise aus meiner Sicht beschreiben, mit denen, in denen Michael seine Eindrücke schildert.
War es leicht, einen Verleger für euer Abenteuer zu finden?
Wir hatten Glück, dass wir den Delius Klasing Verlag, der sich auf Segelliteratur spezialisiert hat, für uns gewinnen konnten. Seit unserem Start in Holland haben wir regelmäßig auf unserer Internetseite von unseren Erlebnissen berichtet. Den Begriff Blog gab es damals noch nicht, aber letztendlich war das, was wir gemacht haben, nichts anderes. Fast täglich, auf Passagen auch mehrmals täglich, haben wir unsere Gedanken per Wort und Bild ins Netz gestellt und damit eine nicht unerhebliche Anzahl an potenziellen Lesern eines Buches gewonnen. Dies hat auch der Verlag erkannt, und nachdem wir uns dort persönlich vorgestellt haben, durften wir ein Probekapitel schreiben und hatten den Vertrag in der Tasche.
Plant ihr nach dem Erfolg des ersten Buchs einen Nachfolger?
Wir hoffen, auch über unsere derzeitige Reise nach Abschluss mit dem Delius Klasing Verlag ein weiteres Buch veröffentlichen zu können.
Weiterführende Informationen
Nathalie und Michael berichten regelmässig auf ihrer Website www.sy-marlin.de von ihren Abenteuern auf hoher See und an Land. Schau da mal vorbei. Im Buch „Meer als ein Abenteuer“ sind die Erlebnisse in Buchform zusammengefasst. Wenn du mehr über Reisen mit Kindern wissen willst, kannst du dir einmal unseren Tag Familienreisen anschauen. Interview mit weiteren aussergewöhnlichen Reisenden findest du hier, Artikel zum Themenbereich Langzeitsegeln hier.
Sehr lesenswert sind übrigens auch die zahlreichen Interviews mit Langzeitseglern auf dem Reiseblogs von Bruder Leichtfuss wie dieses hier mit den Los Locos. Unten auf der Seite gibt es eine Übersicht auf die weiteren Interviews.
Wir haben keine Segelscheine und haben auch keine nennenswerten Meilen gesegelt, bevor wir ein 51 Fuß Segelschiff gekauft haben. 2016 sind wir zu einer 2 bis 3 jährige Fahrt aufgebrochen und haben das Segeln unterwegs gelernt. Nachdem wir im Jahr zuvor 2 Wochen an Frankreichs Mittelmeerküste ca. 100 sm gesegelt sind.
Der Sportbootführerschein (Binnen, Küste, See) war vorhanden. Im Ausland hatten wir gelernt, dass es auch ohne übermäßige Ausbildung geht.
Alles andere erleben wir auch so. Vor allem sollte man sich mit Kindern an Bord nicht hetzen lassen, weil die Schule sonst zu kurz kommt.