Voluntourismus: „Kurze Einsätze stärken bestehende Vorurteile“

Robert Bichler vom Blog deepertravel.com interessiert sich sehr für Voluntärtourismus.
Robert Bichler schreibt gemeinsam mit einer Partnerin auf dem Blog deepertravel.de über Freiwilligeneinsätze in der ganzen Welt. Foto: ZVG

Robert Bichler (34) ist in der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit tätig und koordiniert derzeit ein Projekt in Nicaragua. In der Freizeit betreibt er zusammen mit einer Partnerin den Blog deepertravel.de, der sich an angehende Volunteers richtet. Wir haben ihn zum Voluntourismus und zum nachhaltigen Reisen befragt.

WRF: Robert, immer mehr Menschen wollen ihre Reisen mit Freiwilligenarbeit verbinden. Du hast dich im Rahmen deiner wissenschaftlichen Arbeit mit diesem Phänomen beschäftigt. Woher kommt das Bedürfnis, unterwegs Gutes zu tun?

Robert Bichler: Zur Frage der Motivation sind in den letzten Jahren einige Studien erschienen. Einen guten Überblick findest du hier. Grob lässt sich sagen, dass es sowohl altruistische wie auch eigennützige Beweggründe gibt. Zu den ersteren gehören beispielsweise „etwas Gutes tun“, „etwas zurückgeben“ und „meinen Beitrag leisten“. Interessanter scheinen mir die eigennützigen Motive: Durch eine organisierte Volunteer-Tätigkeit erhoffe ich mir einen späteren, meist beruflichen, Vorteil. Der aktuelle Arbeitsmarkt verlangt von Stellensuchenden praktische Berufserfahrungen, internationales Format und eine gewisse soziale Verantwortung. Der Voluntourismus gibt vor, alle drei Aspekte in nur wenigen Wochen abdecken zu können. Darüber hinaus gehört zu den egoistischen Gründen noch die Beruhigung, um nicht zu sagen Befriedigung des eigenen Gewissens. Dieser „Wohlfühlfaktor“ spielt bei der Motivation sicher auch eine Rolle

Sind solche kurzen Einsätze überhaupt sinnvoll? Halten sie nicht eher die professionellen Helfer von der Arbeit ab?

Ich denke nicht, dass Fachkräfte in der Entwicklungszusammenarbeit durch Freiwillige von der Arbeit abgehalten werden. Das liegt vor allem daran, dass auf Voluntourismus spezialisierte Reiseagenturen oft Tätigkeiten vermitteln, für die es in Wahrheit keine westlichen „Entwicklungshelfer“ braucht. In Kinderbetreuungseinrichtungen beispielsweise wäre es meines Erachtens viel nachhaltiger, lokale, ausgebildete Betreuer oder Betreuerinnen einzustellen. Das Geld, das die Volunteer-Touristen für ihren Aufenthalt an die Agenturen bezahlen, könnte so unter Umständen viel besser eingesetzt werden.

Was ist denn schlecht daran, wenn ich als Backpacker auf dem Weg nach Indien noch kurz zwei Wochen in einem Kinderheim in Nepal mithelfe?

Das Problem ist die Dauer des Einsatzes. In einem so kurzen Zeitraum ist ein gegenseitiges Kennenlernen schwer möglich. Die Gefahr besteht, dass bestehende Stereotype auf beiden Seiten verfestigt werden: auf der einen Seite stehen die reichen Westler mit iPod, Notebook und Northface-Outfit und auf der anderen Seite die Kinder und Jugendlichen, die Gefahr laufen, rein auf ihre Armut reduziert zu werden. Wenn die Person jedoch eine fachliche Ausbildung mitbringt und sich auf ein längerfristiges Engagement einlässt, sehe ich kein Problem.

Woran erkenne ich, ob ein Programm gut ist und nicht mehr Schaden als Nutzen anrichtet.

Die erste Frage, die ich mir als angehender Freiwilliger stellen muss: Was passiert mit meinem Geld? Wenn die Agentur nicht bereit ist, die Kosten für einen Aufenthalt offenzulegen, dann würde ich auf jeden Fall die Finger davon lassen. Wenn ich eine transparente Kostenaufstellung vorgelegt bekomme und von meinen 1500 Euro für einen vierwöchigen Aufenthalt lediglich 150 Euro an die Organisation vor Ort gehen, dann kann auch irgendetwas nicht stimmen. Vor der Buchung der Reise würde ich mir auch die Frage stellen, ob ich für die vorgeschlagene Tätigkeit überhaupt qualifiziert bin? Kann ich beispielsweise als Elektriker Englisch in einer nicaraguanischen Volksschule unterrichten oder als ausgebildeter Pädagoge in einer Schule Kabel verlegen? Wenn die angebotene Stelle nichts mit meinen Fähigkeiten und Qualifikationen zu tun hat, schadet sie tendenziell mehr als sie hilft.

Umweltprojekte, wie beispielsweise der Schutz von Schildkröteneiern, bieten Freiwilligen interessante Möglichkeiten. Foto: Robert Bichler.
Umweltprojekte, wie beispielsweise der Schutz von Schildkröteneiern, bieten Freiwilligen interessante Möglichkeiten. Foto: Robert Bichler.

Viele Organisationen verlangen von den Voluntären Geld, damit sie arbeiten dürfen. Ist das bereits ein Hinweis auf Abzocke?

Wenn man sich eine Reise organisieren lässt, dann ist gegen eine geringfügige Vermittlungsgebühr nichts einzuwenden. Wenn eine Organisation für einen zweiwöchigen Aufenthalt ohne Flug mehr als 1000 Euro verlangt, dann liegt eine Abzocke schon sehr nahe. Egal für welche Art der Freiwilligenarbeit man sich entscheidet, ob selbstorganisiert oder durch eine Organisation vermittelt, die Frage der Finanzierung ist natürlich zentral: Einige Tipps zur Finanzierung eines Volunteer-Aufenthalts haben wir hier zusammengestellt.

Muss ich als angehender Volunteer den Weg über die internationalen Organisationen gehen oder kann ich auch einfach vor Ort etwas suchen?

Auf unserem Blog raten wir allen angehenden Volunteers, sich ein Projekt nach Möglichkeit selbstständig zu suchen. Durch ein Engagement oder die Mitgliedschaft in einem entwicklungspolitischen Verein oder bei einer Städtepartnerschaft können schon von zuhause aus erste Kontakte geknüpft werden. In einem aktuellen Erfahrungsbericht über Kenia (siehe hier) zeigt Sandra, wie sie das ohne Vermittlungsagentur von Österreich aus gemacht hat. Im Idealfall sucht man sich ein Projekt vor Ort, das setzt natürlich genug Zeit voraus und wird sich eher schwer von heute auf morgen realisieren lassen.

Wie kann ich auf Reisen sonst noch Gutes tun?

Zum Beispiel dadurch, dass du in von Einheimischen geführten Unterkünften übernachtest, lokale Transportmittel verwendest, in lokalen Geschäften lokale Produkte einkaufest, Angebote von ökologisch nachhaltigen Touranbieter nutzt und auf deinen Müll achtest. Du kannst versuchen, die lokale Bevölkerung kennenzulernen und dir ihre Geschichten erzählen lassen; das Gehörte kannst du dann zuhause in deinem Bekanntenkreis weitererzählen und somit auf die Probleme in Entwicklungsländern aufmerksam machen. Um sicher zu stellen, dass dein Geld auch wirklich bei den Menschen ankommt, kannst du Geld direkt an Organisationen vor Ort spenden und so die großen, international tätigen Hilfsorganisationen umgehen. Darüber hinaus würde ich versuchen, nicht um niedrige Centbeträge für Taxifahrten, Markteinkäufe und so weiter zu feilschen: Reisende bezahlen im globalen Süden meistens etwas mehr als Einheimische. Solange sich das in einem gewissen Rahmen bewegt, ist das okay – du hast ja auch mehr. Generell denke ich, dass eine Reise keine Sparform sein sollte. Es sollte nicht darum gehen, so wenig Geld wie möglich auszugeben.

Tiefes Reisen bedeutet auch langsames Reisen und Erleben. Hier in den Ruinen von Tikal in Guatemala.
Tiefes Reisen bedeutet auch langsames Reisen und Erleben. Hier in den Ruinen von Tikal in Guatemala.

Du betreibst seit kurzem mit deiner Partnerin den Blog deepertravel.de. Worum geht es auf der Seite.

Auf deepertravel.de regen wir an, tiefer in ein Reiseziel einzutauchen, die Menschen kennenzulernen, sich mit der eigenen Rolle als Reisende im globalen Süden zu befassen, tiefe Erfahrungen zu machen und zu lernen. Wir stellen unseren LeserInnen Tipps & Tricks für die Planung einer Volunteer Reise zur Verfügung, lassen Volunteers in Form von Erfahrungsberichten zu Wort kommen, stellen interessante Projekte und Organisationen vor und werden in Zukunft unsere persönlichen Reisegeheimnisse verraten.

Was bedeutet für dich „tieferes“ Reisen?

Tieferes Reisen bedeutet für mich, in eine neue Kultur einzutauchen, Sitten und Gebräuche zumindest ansatzweise zu verstehen und das Gesehene und Gehörte einordnen und verarbeiten zu können. Eng damit in Verbindung steht dabei der Zeitfaktor: Tieferes Reisen ist auch immer längeres Reisen. Das Erleben eines Ortes, über die fünf Zeilen aus einem Reiseführer hinaus, erfordert langsames Reisen und damit einhergehend mehr Zeit. Das heißt aber nicht, dass ich während einer zweiwöchigen Urlaubsreise gar nicht tiefer Reisen kann – ich muss einfach meine Prioritäten neu setzen: Ein erster Schritt kann sein, die Anzahl an Destinationen zu verringern und ein paar ausgewählte Orte richtig kennenzulernen. Ein dritter wichtiger Aspekt ist die Nachhaltigkeit: Ressourcenschonend Reisen, die lokale touristische Infrastruktur nutzen, eigene Vorurteile und Verhaltensmuster hinten anstellen und der „fremden“ Kultur offen gegenübertreten, sind erste Schritte zum tiefern Reisen.

Zum ersten Mal auf Weltreiseforum.com? Dann schau hier, worum es im Blog geht. Wenn dir dieser Artikel gefallen hat und du künftig nichts mehr verpassen willst, solltest du dich unbedingt beim monatlichen Newsletter einschreiben.

Hast du schon einmal als Freiwilliger auf einer Reise gearbeitet? Wie waren deine Erfahrungen? Berichte uns davon!

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7 Kommentare

  1. Danke für den Einblick in ein Thema, das mir, wie ich gern zugebe, bisher noch nicht so geläufig war. Und danke auch für den damit verbundenen Verweis auf die Website von Eva und Robert. „Tiefer Reisen“ ist ein guter Ansatz und die Seite der Beiden damit für mich eine, die ich im Auge behalten werde… Ein wenig (neuer) Lesestoff kann ja nicht schaden! ;)
    LG, Wolfgang

  2. Spannendes Thema! Ich hatte diesen Sommer eigentlich auch vor Volountourism in einer Wildtierschutzeinrichtung in Namibia zu machen. Ich habe mich im Zuge dessen viel damit beschäftigt.

    Mir war völlig klar, dass ich ohne Vorkenntnisse dort hingehen würde und niemandem helfen kann (außer eben körperlich) aber für mich ist diese Art zu reisen eine Möglichkeit Menschen und Land auf eine andere Art kennenzulernen als von Hotel zu Hotel mit dem Mietwagen zu fahren.

    Die Einrichtung dort wird eben genau durch solche Volunteers finanziert. Und deswegen fand ich es ethisch OK. Bei Waisenhäusern bzw. Menschen finde ich es nicht in Ordnung.

    Und leider gibt es bei den Organisatoren dieser Reisen auch schwarze Schafe.

    Wie dem auch sei. Das ganze ist dann schlussendlich an den Flügen gescheitert, die zu dem Zeitpunkt einfach unglaublich teuer waren. Aber es ist nach wie vor mein Traum das nochmal zu machen.

    1. Ich habe einnmal mit einem Hotelier in Guatamala gesprochen, der auch soziale Projekte macht. Er war der Meinung, dass der wichtigste Aspekt bei der Freiwilligenarbeit sei, dass diese Geld in die Kassen spült. Mit den Einnahmen können die Organisatoren dann auch Einheimische einstellen, welche letztlich die sinnvolle Arbeit tun. Deswegen würden die Freiwilligen schon etwas Gutes tun, halt einfach indirekt. Das fand ich einen interessanten Gedanken.

    2. Danke für deinen Kommentar.
      Volunteering in afrikanischen Parks ist ein kontrovers diskutiertes Thema. Wir können uns gerne auch per E-Mail darüber austauschen: robert[at]deepertravel.de oder eva[at]deepertravel.de

  3. Ich verstehe Roberts Standpunkt voll und ganz. Freiwilligenarbeit muss mit der Aufmerksamkeit beginnen, anderen zu helfen. Der Wunsch, durch diese Missionen persönliche Zufriedenheit zu erlangen, ist in der Tat egoistisch. Man muss wissen, warum man wirklich ehrenamtlich arbeitet, bevor man sich engagiert.

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