Portrait: Wie Herr Hara zum ersten Fondue-Koch Japans wurde

Herr Hara bei der Arbeit. Im Laden im Yoyogi-Park verkauft er Yakisoba, gebratene Nudeln. Foto: Oliver Zwahlen
Herr Hara bei der Arbeit. Im Laden im Yoyogi-Park verkauft er Yakisoba, gebratene Nudeln. Foto: Oliver Zwahlen

Jedes Wochenende brät der 73-jährige Herr Hara im Tokioter Yoyogi-Park Nudeln. Wer ihm bei der Arbeit zusieht, erahnt kaum sein kleines Geheimnis: Vor vielen Jahren hat der Gastronom das Schweizer Käsefondue in Japan salonfähig gemacht. Ein Portrait.

Es sind diese zufälligen Begegnungen, die für mich den Reiz des Reisens ausmachen. Immer wieder komme ich mit Menschen ins Gespräch, deren Schicksal und deren Geschichte mich auf die eine oder andere Weise bewegt, wie zum Beispiel zuletzt beim geläuterten Terroristen auf der indonesischen Insel Sulawesi. Eine weitere solche Geschichte möchte ich heute erzählen. Sie handelt von Herrn Hara.

Die Dämmerung ist längst über den Yoyogi-Park in Tokyo gesunken. Ich hatte soeben in Shinjuku für ein Magazin einige obdachlose Straßenverkäufer interviewt und spazierte nun gemeinsam mit einem japanischen Freund durch die grüne Lunge der Großstadt. Ich bin etwas hungrig und mache vor einem Stand halt, wo es gebratene Nudeln und andere Köstlichkeiten gibt.

Noch während ich mit meinem Bekannten darüber berate, welches Gericht wir bestellten, fragt mich der Koch, woher ich komme. Normalerweise nervt mich diese Frage. Diesmal spürte ich aber, dass der freundlich lächelnde Herr mit dem wilden Augenbrauen nicht bloß neugierig war, sondern dass ihn etwas beschäftigte. Irgendwie musste er erkannt haben, woher ich komme und suchte nun die Gewissheit. So kamen wir ins Gespräch.

Japaner mussten sich an Käse gewöhnen

Herr Hara ist 73 Jahre alt und stammt ursprünglich aus Kyoto. Als sich sein Unternehmen vor etwa 25 Jahren entschloss, eine Gastrokette mit dem Namen „Edelweiß“ aufzubauen, wurde der ausgebildete Koch kurzerhand in die Schweiz geschickt. Irgendwo in der Nähe von Zürich, erinnert er sich. Aber der Name der Ortschaft sei ihm entfallen. Herr Hara entschuldigt sich dafür zwei Mal. Seine Aufgabe sei es gewesen, die Schweizer Kochkunst zu erlernen und für die Restaurantkette Rezepte zu entwickeln, die dem japanischen Gaumen zusagten.

Das war gar nicht so einfach. Insbesondere das Käsefondue sei eine Herausforderung gewesen. „Japaner mögen den salzigen Geschmack des Schweizer Käses nicht“, erzählt er. Deswegen habe er dem Käsegemisch einen großen Teil Edamer beigegeben. „Ich weiß schon: für Schweizer muss das Schrecklich klingen. Aber unsere Kunden liebten das Gericht.“

Die Restaurantkette gibt es noch immer, inzwischen aber unter einem anderen Namen.  Besonders stolz ist Herr Hara jedoch darauf, der Fondue-Pionier Japans zu sein. „Als das erste Restaurant in Japan mit Käsefondue aufging, war mein Bild in allen Zeitungen“, erzählt er lachend. Er könne mir das nächste Mal die Artikel mitbringen.

Das Leben nach der Arbeit

Seit 13 Jahren ist Herr Hara pensioniert. Ans Aufhören denkt er indes nicht. Jedes Wochenende steht er im Yoyogi-Park von morgen früh bis am späten Abend hinter dem Herd und brät Nudeln. Ich frage ihn, wie lange er dies schon tut. „17 Jahre“, antwortet er. Außerdem sei er unter der Woche auch noch in einem Restaurant tätig. Herr Hara wechselt das Thema. „Ich kann auch ein paar Worte auf Schweizerdeutsch“, sagt er. „Zum Beispiel: Grüezi!“

Harte Sommer: In der warmen Jahreszeit ist der Arbeitsalltag hinter dem Herd schwer.
Harte Sommer: In der warmen Jahreszeit ist der Arbeitsalltag hinter dem Herd schwer.

Es kommen andere Kunden und während ich dem schwitzenden Herrn Hara bei der Arbeit zuschaue, frage ich mich, wieso er sich diese Plagerei in seinem hohen Alter noch antut. Was Herr Hara nicht erzählt: Die Rentenversicherung ist in Japan nicht zum Besten bestellt. Hara konnte sich noch nach dem früheren Rentenrecht mit 60 Jahren in den Ruhestand begeben. Ob das für ihn gut oder schlecht war, weiss ich nicht. Klar ist aber: wegen der notorisch leeren Pensionsassen war das Rentenalter kurz darauf auf 65 angehoben worden. Es ist daher gut möglich, dass die Rente allein nicht ausreicht, um den Lebensstandard zu halten.

Sobald die Kunden mit ihren Soba-Nudeln verschwunden sind, frage ich Herrn Hara, ob die langen Arbeitstage nicht anstrengend sind. „Im drückenden Sommer ist es hart, den ganzen Tag hinter dem heißen Herd zu stehen“, findet er. Aber so lange er gesund ist, will er weiterarbeiten. „Die Arbeit hält mich fit.“

Die Krise nach dem Erdbeben

Das Gespräch führte ich im Sommer vor etwa zwei Jahren und damit ziemlich genau ein Jahr nachdem ein heftiges Erdbeben den Tsunami versurachte, der den GAU im Kernkraftwerk von Fukushima auslöste.

Obwohl die japanische Hauptstadt kaum unter den direkten Folgen der Erdstöße zu leiden hatte, trafen die indirekten Folgen die Menschen fast noch härter. „Am Anfang fehlte es vor allem am Strom“, erinnert sich Herr Hara an die nationale Katastrophe. „Außerdem hatte die  Regierung die Leute aufgefordert, aus Respekt gegenüber den Opfern Hanami (Kirschblütenschau) nicht zu feiern.“

Die Besitzer der kleinen Läden verloren massiv an Laufkundschaft. Auch die negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft hätten dazu geführt, dass die Passanten immer seltener bereit sind, für eine Zwischenverpflegung zu bezahlen. Wenn das so weiter geht, so fürchtete Herr Hara, muss er sich nach dem vielen Jahren vielleicht doch nach einer neuen Aufgabe umsehen. Zu hause rumsitzen, so scheint es, kommt nicht in Frage.

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6 Kommentare

    1. Hi Michael,

      danke fürs Lob. Ich kam von Shinjuku aus. Allerdings liegt die Begegnung nun schon mehr als drei Jahre zurück und ich weiss nicht, ob er überhaupt noch dort ist. Er ist ja nicht mehr der Jüngste. Falls du ihn aber triffst, kannst du ihm gerne einen Gruss ausrichten.

      Gruss,
      Oli

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