Ostalgie in Krakau: Im Trabi durch die sozialistische Vorzeigestadt Nowa Huta

Willst du auf deiner Reise nach Krakau auch etwas über die neuere Geschichte der Stadt erfahren? Dann empfehle ich dir, eine „rote“ Tour in die ehemalige sozialistische Vorzeigestadt Nowa Huta vor den Toren Krakaus zu unternehmen.

Kornelia streicht sich eine blonde Locke aus dem Gesicht und regelt unter dem Armaturenbrett die Zündung. Eine Sekunde lang hüstelt unser leuchtend grüner Trabi. Dann springt „der Frosch“ an, wie unsere Reiseführerin das Gefährt liebevoll nennt. Im nächsten Augenblick rieche ich, wie sich der Duft von Benzin in der Kabine breitmacht.

Ich bin aufgeregt. Zum ersten Mal in meinem Leben sitze ich in einem Trabi. Ich habe eine Tour bei „Crazy Guides“ gebucht, die mich nach Nowa Huta bringen soll. Die Vorzeigestadt im Stil des sozialen Realismus liegt etwa zehn Kilometer östlich vom historischen Zentrum Krakaus.

„Die meisten Touristen verbringen ihre Zeit in der hübschen Altstadt“, sagt Kornelia während sie den Frosch über einen Kreisel steuert. Mit den mittelalterlichen Häusern, den einladenden Marktplätzen und den spannenden Museen ist das sicherlich keine schlechte Idee. „Doch seit einer Weile beginnen sich immer mehr Besucher für die kommunistische Vergangenheit des Landes zu interessieren“, verrät sie. Ostalgie in Polen.

Das Paris der Arbeiter

Hinter Nowa Huta steckte von Beginn an die Absicht, die Besucher zu beeindrucken. Ein sozialistisches Paradies für die Arbeiter sollte die Stadt darstellen, die sich vor dem grössten Stahlwerk des Landes ausbreitete. Stein gewordene Propaganda.

Auch die Wahl des Standorts sei vor allem politischer Natur gewesen. „Man wollte die konservativen Bewohner von Krakau für den Sozialismus gewinnen“, erzählt Kornelia. „Die meisten standen der kommunistischen Idee eher skeptisch gegenüber.“ Breite Alleen und leuchtende Fassaden sollten die Überlegenheit des neuen Systems beweisen.

Geklappt hat das nur bedingt. Die Emissionen des Stahlwerkes liessen die beige leuchtenden Sandsteingebäude bald grau werden. Da die Fabrik weit entfernt von den Ressourcen gebaut wurde, generierte sie auch nicht den gewünschten Wohlstand. Wer durch Nowa Huta wandelt, kann das leicht in der Architektur erkennen: Bereits in der zweiten Bauphase dominierten billige Plattenbauten.

Reiseführerin Kornelia erklärt vor der Karte die Städteplanung von Nowa Huta.

 

Der Laden mit den Kacheln

Wir erreichen den Zentralplatz, der nach der Wende offiziell in Ronald Reagan Platz umbenannt wurde. Von hier führen breite Alleen in die Arbeiterstadt. Auf dem Zentralplatz befanden sich einst die prunkvollsten Läden. Nur in einem von ihnen hat die originale Inneneinrichtung bis heute überlebt. Er ist der erste Stopp auf der heutigen Tour.

Zwei grosse Kandelaber hängen von der Decke, die mit alten Keramiktellern verziert ist. „Hier ist noch alles so wie damals“, sagt der Besitzer. Doch während hier früher kitschige Keramikwaren und Stoffe über den Ladentisch gingen, verkauft der ältere Herr heute vor allem Souvenirs an Touristen. Trotzdem wirkt das kleine Geschäft wie ein lebendiges Museum. Wieso er das Geschäft nie frisch dekoriert hat, will ich wissen. Nostalgie, antwortet er.

Etwa hundert Meter nördlich befindet sich das Restaurant Sylowa, dessen Einrichtung sich seit den 80er-Jahren nie geändert hat. Wer möchte, bekommt hier einen Wodka zum Frühstück. Ich bestelle mir einen Kaffee – so wie er früher getrunken wurde. Spuckkaffee wurde der sandige Pulverkaffee genannt. Am Stammtisch gegenüber sitzen alte Männer. Kornelia hört einen Augenblick zu und sagt: „Pensionierte Arbeiter vom Stahlwerk, die über alte Zeiten reden.“

Hinter den Arkaden des Zentralplatzs versteckten sich einst Nowa Hutas prunkvolle Geschäfte.

 

Der Palast der Arbeiter

Mit dem Fotoalbum unter dem Arm fahren wir nun genau dorthin: Vor die Tore der Fabrik, die der ganzen Siedlung ihren Namen gegeben hat. Nowa Huta heisst nämlich „neues Stahlwerk“. Während ihrer Glanzzeit in den 1970-er Jahren waren rund 40.000 Menschen angestellt; jährlich wurden fast 7 Millionen Tonnen Stahl erzeugt.

Inzwischen ist die Produktionsstätte Teil eines indischen Firmenkonglomerats. Leider ist es für Touristen nicht möglich, die Fabrik zu besuchen. Einheimische erzählen aber davon, dass sich grosse Teile des riesigen Geländes in eindrückliche „Lost Places“ verwandelt haben.

Zu sehen sind die beiden monströsen Verwaltungsgebäude (im Volksmund „Vatikan“ genannt) und der ikonische Schriftzug über dem Eingang. Das Stahlwerk, das ursprünglich nach Vladimir Lenin benannt worden war, erhielt nach der Wende einen neuen Namenspatron: Tadeusz Sendzimir – bezeichnenderweise ein polnischer Metallurgie-Ingenieur, der während der kommunistischen Herrschaft in den Westen geflohen ist.

Das wahre Highlight ist die Wohnung, die wir anschliessend besuchen. Sie ist genauso eingerichtet, als hätten wir sie dreissig oder vierzig Jahre früher besucht. Im Badezimmer befindet sich ein Gerät zur Herstellung von Wodka und im Wohnzimmer läuft ein Propagandafilm aus den 1950er-Jahren. Überall liegen Alltagsgegenstände, an Hand derer Kornelia uns das Leben im Osten beschrieb.

Orginale Einrichtung eines Vorzeigeladens mit Kandalaber und Keramiktellern.

 

Die verbannte Religion

Wer sich die ursprünglichen Stadtpläne von Nowa Huta anschaut, stellt schnell fest, dass eine Art von Gebäuden vollkommen fehlte: Kirchen. Die atheistische Staatsdoktrin sah in sakralen Bauten keinen Nutzen. Ohne Hilfe von aussen bauten Freiwillige während zehn Jahren die modernistische Kirche Arka Pana (Arche des Herren).

Da diese spannende Kirche nicht im Besichtigungsprogramm steht, halten wir nur kurz an. Das Design des Architekten Wojciech Pietrzyk verdient aber unbedingt einen Besuch. Das Dach der Kirche besteht nämlich aus einer grossen Arche, aus deren Mitte ein 70 Meter hohes Kreuz in Form eines Masts ragt. Interessant sind auch die aussergewönlichen Reliquien. In einem Tabernakel befindet sich beispielsweise ein Kristall, den die Appolo 11 Mission vom Mond mitgebracht hat.

Noch spannender ist jedoch, was sich alles rund um die Kirche ereignete. So wurde das Gotteshaus zu einem der Zentren der Proteste während der Solidarności-Bewegung, die schliesslich zum Untergang des Sozialismus in Polen führte. All dies erfahre ich etwas später im PRL Museum. Es befindet sich in einem grimmig aussehenden Theater, unter dem sich ein grosser, zugänglicher Bunker befindet.

Hier setzt uns Kornelia am Ende der rund vier Stunden dauernden Tour ab – ein idealer Ort, um noch mehr über den ungewöhnlichen Vorort von Krakau zu erfahren.

Rationierungskarte aus den späten 1980er-Jahren.

 

Praktische Tipps für Nowa Huta

Brauche ich eine Tour für Nowa Huta? – Jein. Der Vorort ist grundsätzlich öffentlich zugänglich. Das gleiche gilt auch für die Läden und Restaurant, die teilweise noch im Originalzustand erhalten sind. Aber der Ort lebt von den Geschichten und Erinnerungen, zu denen du mit Hilfe eines Guides viel leichter Zugang hast. Auch wenn ich grundsätzlich kein Fan von geführten Touren bin, würde ich es in diesem Fall aber dringend empfehlen. Ich hatte diese Tour.

Wie sicher ist Nowa Huta? – Die Arbeiterstadt hat bis heute unter den Bewohnern von Krakau keinen besonders guten Ruf.  Sie gilt als schmuddelig und gefährlich. In Zeiten der Massenarbeitslosigkeit nach der Wende waren die Zustände durchaus problematisch. Heute leben im Vorort aber hauptsächlich Rentner, Familien und Studenten. Laut Informationen meines Guides ist Nowa Huta inzwischen jedoch sicherer als der Rest von Krakau.

Wie komme ich auf eigene Faust nach Nowa Huta? – Der Vorort ist mit mehreren Bus- und Strassenbahnlinien mit dem Zentrum von Krakau verbunden. Am besten nimmst du vor dem Bahnhof die Strassenbahnlinien 4 oder 10 zum Ronald Reagan Platz. Die Fahrt dauert etwa 20 Minuten. Lies hier, wie du günstige Flüge nach Krakau findest.

Wie viel Zeit brauche ich für eine Besichtigung von Nowa Huta? – Die geführte Tour dauert rund vier Stunden. Der alte Teil von Nowa Huta rund um den Zentralplatz (Ronald Reagan Platz) ist ziemlich überschaubar. Aber es gibt mehrere Museen, die sich der Geschichte des Stadtteils widmen. Ich würde deswegen einen ganzen Tag einplanen.

Was kann ich in der Nähe sonst noch sehen? – Unweit von Nowa Huta befindet sich das Krakauer Flugfahrtsmuseum, in dem mehr als 200 historische Flugzeuge ausgestellt sind. Darunter sind einige seltene antike Flieger, die einst Hermann Göring gehörten. Ebenfalls sehenswert ist der Wanda-Hügel: ein mysteriöser prähistorischer Bau, der zeigt, dass diese Gegend schon länger besiedelt ist als die Altstadt von Krakau.

Kann/Soll ich in Nowa Huta übernachten? – Da der Vorort sehr gut zu erreichen ist, empfehle ich dir, ein Hotel im Stadtzentrum von Krakau zu wählen. Ich selber nächtigte im hervorragend gelegenen Andels Vienna und war damit sehr zufrieden. Wer aufs Budget achten, findet im Zentrum auch viele Hostels.

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Schlussbemerkungen

So schön die historische Innenstadt von Krakau auch ist: Nowa Huta fand ich letztlich sehenswerter. Denn an mittelalterlichen Städten gibt es in Europa keinen Mangel. Hingegen wurden weltweit nur zwei vollkommen durchgeplante Städte im Stil des sozialistischen Realismus gebaut.

Dass Nowa Huta zudem relativ jung ist, erlaubt einem die Geschichte unmittelbar zu erleben: So sprachen wir auf unserer Tour auch mit Zeitzeugen, deren Kindheit in den Anfangsjahren der Planstadt lagen.

Vor allem aber fand ich die Tour ausgesprochen gut organisiert und kann deswegen nur empfehlen, bei einem Besuch von Krakaus auch einen Ausflug in den östlichen Vorort zu unternehmen.

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9 Kommentare

    1. Die zweite (eigentlich erste) Stadt liegt irgendwo im russischen Ural und heisst Magnitogorsk. Im Guardian war vor anderthalb Jahren ein sehr lesenswertes Portrait von Magnitogorsk. Wie leicht/schwer die russische Stadt zu besuchen ist, dazu habe ich leider nichts gefunden…

      1. Genau. Zwischen Nowa Huta und Eisenhüttenstadt gibt es viele Ähnlichkeiten, die über die praktisch identische Namensbildung hinausgehen. Aber Eisenhüttenstadt ist, wenn ich das richtig verstanden habe, architektonisch eben nicht im gleichen (prunkvollen) Stil gebaut. Auf den Fotos, die ich gefunden habe, wirkt Eisenhüttenstadt jetzt nicht wie ein Ort, den man gesehen haben muss. Aber mal unter uns: Das wirklich Coole am Trip war natürlich sowieso die Fahrt im Trabi… :)

  1. Hi,

    ich bin gerade mit meiner Mutter in Krakau. Drei Tage Sonnenschein und super Wetter. Wir sind begeistert. Die Wawel ist auch sehr interessant. Leider ging uns die Zeit aus aber wir fahren sicher wieder nach Polen.

    Was mir aber aufgefallen ist dass mam selbst am Geldautomaten abgezockt wird. Die stellen automatisch auf Euro um und das zu einem viel schlechteren Kurs. Man mus dann manuell auf Zloty umstellen.
    Bei Zahlung im Restaurant kann man oft gar nicht auf Zloty umstellen und die Kreditkarte wird autom. Mit Euro belastet. Ist das in Warschau auch so?
    Ich zahle im Urlaub sonst immer Bar und bis auf Südkorea nicht mit Karte.
    Bisher ist mir nicht aufgefallen dass ich mit dem Wechselkurs so abgezockt wurde wie hier.

    Wie sind deine Erfahrungen?

    1. Hallo Pasquale,

      ich bezahle eigentlich immer alles bar. Daher habe ich mich mit dem Thema noch nicht so beschäftigt. Aber ist es nicht so, dass du weniger Gebühren bei der Kreditkarte bezahlen musst, wenn das Geld in Euro abgezogen wird? Das würde sich dann ja wieder mit dem Kursvorteil verrechnen, so dass es eigentlich egal ist, was du wählst…? Aber vielleicht habe ich das auch einfach falsch verstanden. Ich recherchier das mal genauer.

      Das mit dem Geldautomaten habe ich nicht so ganz verstanden. Du meinst, dass er in der Grundausstellung Euro ausspukt? Ich denke, wenn das der Fall gewesen wäre, könnte ich mich noch daran erinnern…

      Gruss,
      Oli

  2. Hi

    nein der spuckt keine Euro aus sondern der gibt den Betrag gleich in Euro an und zieht den in Euro von der Kreditkarte ab. Am Flughafen hat der Automat für einen € 3.77 Zloty ausgegen obwohl der normale Kurs 1€ 4.28 Zloty ist. Für 1000 Zloty wollte der 265€ obwohl es eigentlich 234€ sind. Heute habe ich Zigaretten gekauft. In € wollten die 155 haben und in Zloty nach offiziellem Kurs wären es 147€ gewesen. Also 8€ weniger. Bin gespnnt was die Santander ausrechnet.

    1. Hm, das sind tatsächlich ziemlich helftige Unterschiede. Da muss ich mir echt mal genauer anschauen. Danke für den Hinweis.

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