Buchtipp: Den Aborigines auf der Spur

Pflichtlektüre für den Australienreisenden: Aborigines, gestern und heute. Foto: Oliver Zwahlen
Pflichtlektüre für den Australienreisenden: Aborigines, gestern und heute. Foto: Oliver Zwahlen

Den wenigsten Reisenden fällt es leicht, mit Aborigines Freundschaften zu schließen. Wieso das so ist (und auch viel anderes) erklärt das hervorragend Buch „Aborigines, gestern und heute“. Eine Buch- und Selbstkritik.

Ich gebe es zu: Australien hat mir nicht besonders gut gefallen. Einen Monat lang war ich mit dem 4WD über die staubigen Straßen des Nordens gebrettert – doch obwohl die Hitze nahezu unerträglich war, konnte ich mich für das Land nicht erwärmen. Schuld daran waren die Aborigines.

Genauer gesagt waren meine Vorstellungen daran schuld, die ich von den „edlen Wilden“ hatte. In bester Schwarzweißmanier war mir klar, dass sich der größte Teil der sozialen Konflikte darauf zurückführen ließe, dass die weißen Australier ihren dunkelhäutigen Landsleuten diskriminierten und ihnen keine Chance gaben. Ich hatte kurz zuvor Ethnologie als Nebenfach abgeschlossen und hielt mich dadurch – etwas überspitzt gesagt – ohnehin für prädestiniert, um auf der Reise mit den Aborigines ums Lagerfeuer zu tanzen.

Keine Lagerfeuerromantik

Ich hatte mich geirrt. Mir gelang es unterwegs kein einziges Mal, mit den Einheimischen ein etwas tieferes Gespräch zu beginnen. Ich konnte grad mal nach dem Weg fragen. Doch etwas, das sich wie ein Gespräch angefühlt hätte, erlebte ich nie.  An der Sprache lag es nicht, denn offensichtlich wurde ich verstanden. Nein, die Menschen trugen ihr Desinteresse offensichtlich zur Schau. Nicht einmal angeschaut haben sie mich. Die meisten Siedlungen in der Northern Territories hatten Schilder, die ganz klar sagten: tanken kannst du bei uns, aber ins Dorf reinkommen,  das darfst du nicht. Ich begann mich nach und nach etwas enttäuscht auf die Naturschönheiten zu konzentrieren und das, was auf der Landkarte als ein faszinierender Ethnotrip aussah, allmählich zu vergessen.

Ich hatte diesen Misserfolg mehr oder weniger erfolgreich verdrängt, bis ich im Newsfeed die Nachricht fand, dass Sabine und Burkhard Koch ein Buch über die Aborigines geschrieben hatten. Du kannst dich vielleicht an die beiden erinnern: Als ich vor einigen Monaten fünf Paare auf Langzeitreise dazu befragte, wie sie es vermeiden sich gegenseitig anzunerven, waren die beiden unter den Befragten. Ich bestellte das Buch sofort und nahm es ein paar Tage später auf meine Reise nach Venedig mit.

Ein wissenschaftlicher Reisebericht

Reiseberichte lese ich häufig – nur ganz wenigen gelingt es, mich zu begeistern. „Aborigines, gestern und heute“ ist eine Ausnahme. Schon beim Vorwort spürte ich: Hier haben die Autoren viel Zeit in die Recherche gesteckt. Auf den rund 130 Seiten, welche das kleine Band lang ist, werden Gesellschaft und Kultur im Wandel beschrieben. Ohne sich in unnötigen Einzelheiten zu verlieren, zeichnen die beiden Kochs ein umfassendes Bild und vermitteln ein Wissen, das eigentlich jeder Australienreisende mitbringen sollte.

Sabine und Burkhard Koch reisten über ein Jahr lang durch Australien und recherchierten dabei für das Buch über die Aborigines.
Sabine und Burkhard Koch reisten über ein Jahr lang durch Australien und recherchierten dabei für ihr Buch zum Leben der Aborigines.

Und so erfahre ich einiges, was ich eigentlich schon auf meiner eigenen Reise mit einer besseren Vorbereitung hätte wissen müssen. Zum Beispiel, dass es Aborigines als unhöflich empfinden, den Gesprächspartner direkt anzuschauen. Oder ich erfuhr, wieso manche nicht fotografiert werden wollen: In vielen Stämmen ist es nämlich Sitte, dass die Angehörigen sämtliche Gegenstände eines Verstorbenen nach dessen Ableben vernichten. Mancherorts darf sogar nicht einmal sein Name ausgesprochen werden. Da leuchtet es ein, dass auch keine Fotos übrigbleiben sollen.

Von der gestohlenen Generation

Viele Fakten sind zwar für Reisende weniger relevant, dafür aber umso interessanter. Zum Beispiel war die Mischehe zwischen Weißen und Aborigines bis in die 1960er-Jahre gesetzlich verboten. Trotzdem hatte es auf Grund des ungleichen Geschlechterverhältnisses bei den weißen Siedlern immer wieder Mischlingskinder gegeben, oft auch durch Vergewaltigungen. Ab 1910 entstanden systematische Bemühungen, die Kinder ihren schwarzen Müttern wegzunehmen und in Kinderheime einzuweisen. Erst vor etwas mehr als fünf Jahren entschuldigte sich ein australischer Regierungschef für diese Verbrechen. Wen wundert’s, dass es da noch heute vielen Aborigines schwerfällt, den Weißen zu vertrauen.

Diese ganzen Fakten klingen eher nach einer wissenschaftlichen Studie oder wenigstens nach einer ethnographischen Zusammenfassung als nach einem Reisebericht. Zweifellos präsentiert sich das Buch als ein fundiertes Sachbuch. Dennoch ist der Begriff Reisebericht nicht gänzlich verkehrt. Denn Sabine und Burkhart Koch waren ein Jahr lang mit ihrem violetten Lastwagen, der Pistenkuh,  durch Australien getourt und hatten dabei zahlreiche Interviews geführt mit Aborigines und Weißen, die mit ihnen zu tun haben. Während die Kapitel zur Geschichte und zur Kultur sehr sachlich sind, geht es bei den Begegnungen in Tourismusprojekten oder im Reisealltag sehr viel persönlicher zu.

Alles in allem eine sehr gelungene Mischung, wie ich finde. Und für mich gehört das gerade erst erschienene Band zur Pflichtlektüre eines jeden Australienreisenden.

Das Buch „Die Aborigines, gestern und heute“ erschien erst 1. Dezember 2013 in den Buchhandlungen. Bestellen kannst du es über diesen Link bei Amazon.

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